Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
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den verbindlichen Patriarchen der Klosterreform, Odilo von Cluny,
und schwiegen über den unerbittlichen, Abbo von Fleury. Das war
hart, aber gut benediktinisch: Anderes als damals in Fleury war jetzt
auf der Reichenau an der Zeit.123
In manchen Disziplinen übertraf Hermann seinen Abt bei weitem, so
als Zeitrechner und Geschichtsschreiber. Im musikalischen und im
hagiographischen Feld konkurrierten sie miteinander. Trotzdem unter-
stützte Bern seinen gelehrtesten Mönch ohne Neid; der dankte es ihm
ohne Hochmut. Beide waren auf die Arbeitsteilung angewiesen: Der
weitläufige Bern schaffte für die Forschungen seiner Mönche viele
Bücher herbei, so wie die früheste Darstellung des Astrolabs, die er
1008 aus Fleury mitbrachte oder bald nachschicken ließ.124 Ohne solche
Handschriften von weither hätte Hermann der Lahme, an den
Tragstuhl gefesselt, weder ein Martyrologium noch eine Chronik
schreiben, einen Sterngreifer und Zeitmesser weder bauen noch
erläutern können.125
Noch um 1040 kam freilich niemand in Deutschland auf den
Gedanken, daß das Astrolab für geistliche Zeitnutzung und Lebens-
führung unentbehrlich sei. Selbst Bern verlor kein Wort darüber. Denn
die Generation von Abbos Nachfolgern hielt das Astrolab noch für so
schillernd wie Gerberts Erscheinung. Während Christen, denen das
Gottverlangen über alles ging, diesem Sinnbild der Weltverhaftung
auswichen, suchten es Bildungsbeflissene, die das Rätselhafte anzog,
mit Hingabe zu begreifen. In diesem Zwielicht erschien das Astrolab
als Inbegriff höchst irdischer Esoterik, Magie und Brillanz. Drei
123 Hermann, Chronicon a. 1049 S. 128 zu Odilo; ausführlicher in seinem
Martyrologium, in Auszügen hg. von Ernst Dümmler, Das Martyrologium
Notkers und seine Verwandten, Forschungen zur deutschen Geschichte 25
(1885) S. 195-220, hier S. 209. Als Vorbild galt Odilo für Bern, Briefe Nr. 2 S. 19
f. Hingegen wurde Abbos Tod 1004 weder in Berns Briefen noch in Hermanns
Martyrologium oder Chronik erwähnt.
124 Vyver, Abbon S. 139 vermutete bereits, daß Bern aus Fleury Manuskripte
mitbrachte. Über andere, nachweislich von Bern veranlaßte Handschriften-
Wanderungen Borst, Forschungsbericht S. 396, 399, 401 f., 416 mit weiterer
Literatur. Bern vermittelte auch zwischen Abbos ‘Computus vulgaris’ und
Hermanns ‘ Abbreviatio compoti’, indem er einen ‘Compotus Augiensis’ anlegen
ließ; das wird dessen von mir vorbereitete Edition ergeben.
125 Oesch. Berno S. 135-203 gibt einen Überblick zu HermannsWerken; ergänzend
Franz-Josef Schmale, Hermann von Reichenau, in: Verfasserlexikon Bd. 3
(1981) Sp. 1082-1090; Borst, Forschungsbericht S. 397-443.
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den verbindlichen Patriarchen der Klosterreform, Odilo von Cluny,
und schwiegen über den unerbittlichen, Abbo von Fleury. Das war
hart, aber gut benediktinisch: Anderes als damals in Fleury war jetzt
auf der Reichenau an der Zeit.123
In manchen Disziplinen übertraf Hermann seinen Abt bei weitem, so
als Zeitrechner und Geschichtsschreiber. Im musikalischen und im
hagiographischen Feld konkurrierten sie miteinander. Trotzdem unter-
stützte Bern seinen gelehrtesten Mönch ohne Neid; der dankte es ihm
ohne Hochmut. Beide waren auf die Arbeitsteilung angewiesen: Der
weitläufige Bern schaffte für die Forschungen seiner Mönche viele
Bücher herbei, so wie die früheste Darstellung des Astrolabs, die er
1008 aus Fleury mitbrachte oder bald nachschicken ließ.124 Ohne solche
Handschriften von weither hätte Hermann der Lahme, an den
Tragstuhl gefesselt, weder ein Martyrologium noch eine Chronik
schreiben, einen Sterngreifer und Zeitmesser weder bauen noch
erläutern können.125
Noch um 1040 kam freilich niemand in Deutschland auf den
Gedanken, daß das Astrolab für geistliche Zeitnutzung und Lebens-
führung unentbehrlich sei. Selbst Bern verlor kein Wort darüber. Denn
die Generation von Abbos Nachfolgern hielt das Astrolab noch für so
schillernd wie Gerberts Erscheinung. Während Christen, denen das
Gottverlangen über alles ging, diesem Sinnbild der Weltverhaftung
auswichen, suchten es Bildungsbeflissene, die das Rätselhafte anzog,
mit Hingabe zu begreifen. In diesem Zwielicht erschien das Astrolab
als Inbegriff höchst irdischer Esoterik, Magie und Brillanz. Drei
123 Hermann, Chronicon a. 1049 S. 128 zu Odilo; ausführlicher in seinem
Martyrologium, in Auszügen hg. von Ernst Dümmler, Das Martyrologium
Notkers und seine Verwandten, Forschungen zur deutschen Geschichte 25
(1885) S. 195-220, hier S. 209. Als Vorbild galt Odilo für Bern, Briefe Nr. 2 S. 19
f. Hingegen wurde Abbos Tod 1004 weder in Berns Briefen noch in Hermanns
Martyrologium oder Chronik erwähnt.
124 Vyver, Abbon S. 139 vermutete bereits, daß Bern aus Fleury Manuskripte
mitbrachte. Über andere, nachweislich von Bern veranlaßte Handschriften-
Wanderungen Borst, Forschungsbericht S. 396, 399, 401 f., 416 mit weiterer
Literatur. Bern vermittelte auch zwischen Abbos ‘Computus vulgaris’ und
Hermanns ‘ Abbreviatio compoti’, indem er einen ‘Compotus Augiensis’ anlegen
ließ; das wird dessen von mir vorbereitete Edition ergeben.
125 Oesch. Berno S. 135-203 gibt einen Überblick zu HermannsWerken; ergänzend
Franz-Josef Schmale, Hermann von Reichenau, in: Verfasserlexikon Bd. 3
(1981) Sp. 1082-1090; Borst, Forschungsbericht S. 397-443.