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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0094
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Arno Borst

An modernen Domschulen und künftigen Universitäten jedoch, in
Paris, Lüttich und Oxford, verdrängten Hermanns gesammelte Opera
das ältere Corpus ganz und wurden bis ins Spätmittelalter „zum
Standardwerk für die Zeitmessung mit Hilfe des Astrolabs“.154 Dar-
über hinaus lehrten sie, wie eine christliche Lebensform Naturbeobach-
tung und Geschichtsbewußtsein vereinigen konnte. So gaben sie der
arabischen Astronomie in der lateinischen Gelehrsamkeit Heim-
recht.
Wenig später folgten auf anderen Wegen indisch-arabische Mathe-
matik und griechisch-arabische Medizin.155 Daran waren die Kloster-
reformer von Abbo bis Hermann nicht mehr führend beteiligt. Aber
das Feld für willige Aufnahme des Fremden wurde in Europa zwischen
975 und 1050 bereitet. Die Erfahrung dieser zwei Menschenalter hat
unsere Geschichte weniger auffällig, aber nicht weniger nachhaltig
verwandelt als die sogenannte Renaissance des 12. Jahrhunderts, die
heute viele als Morgenröte der Moderne entzückt. Übersah nicht das
12. Jahrhundert selbst schon den Morgenstern, der sie angekündigt
hatte? Jedenfalls verbannte es die christianisierte Nutzung des islami-
schen Astrolabs aus der Mitte des scholastischen Spannungsfelds von
Frömmigkeit und Wissenschaft.
Doch wo sie dann unterzubringen wäre, darüber entbrannte ein
langwieriger Streit.

154 Das Zitat bei Bergmann. Innovationen S. 174. Ebd. S. 227 die elf Handschriften
mit Hermanns gesamter Trilogie. Ihre Wirkung auf spätere Astrolab-Texte ist
bisher nicht im ganzen untersucht; einzelne Hinweise bei Zinner, Instrumente S.
137-141,373; Kunitzsch, Sternnamen S. 47 f.; Kunitzsch, Glossar S. 486 f., 503
f., 506-508. Hermanns Einfluß auf den in der Forschung seit Haskins, Studies S.
113-117 überschätzten Lothringer Walcher von Malvern wird sich erst prüfen
lassen, wenn meine Edition von Hermanns komputistischen Schriften vorliegt.
Sie enthielten Mondaltertabellen und Formeln für Mondfinsternisse, fünfzig
Jahre vor Walchers Versuchen, die ich nicht wie Poulle, Instruments S. 39 f. für
völlig isoliert halte.
155 Zur Mathematik, deren Wandlungen Destombes, Astrolabe S. 32-42 zu eng mit
der Einführung des Astrolabs verknüpft, Adolf P. Juschkewitsch, Geschichte
der Mathematik im Mittelalter (1964) S. 340-387; Karl Menninger, Zahlwort
und Ziffer. Eine Kulturgeschichte der Zahl, Bd. 2 (31979) S. 131-141, 239-248.
Zur Medizin Heinrich Schipperges, Arabische Medizin im lateinischen Mittel-
alter (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathe-
matisch-naturwissenschaftliche Klasse Bd. 1976/2, 1976) S. 98-112.
 
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