Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende
91
Astrolab-Corpus Hermanns abschloß, am Ende einer Handschrift des
frühen 12. Jahrhunderts, die der Abtei St. Augustine in Canterbury
gehörte. Der Schreiber glaubte zu wissen, daß Girbertus selber der
Autor jenes verwickelten Buchs vom Astrolab gewesen sei, das in
diesem Codex vor Hermanns Beschreibung der Säulchen-Sonnenuhr
eingerückt ist. Durch die Lektüre enttäuscht, habe damals Berengar
seinen Freund Hermann gebeten, eine Bauanleitung zu verfassen.
Hermann sei trotz seiner Behinderung nicht nur diesem Wunsch
nachgekommen (der Text steht nun vorn in dem Band), sondern habe
danach auch Gerberts Werk in Ordnung gebracht (ordinavit). Soweit
die rekonstruierten Fakten, nun das überwältigende Wunder.
„Wie man sagt, war dieser Hermann gut und Gott wohlgefällig.
Eines Tages kam ein Engel zu ihm und stellte ihn vor die Alternative:
entweder körperliche Gesundheit ohne besondere Weisheit oder
wissenschaftliche Höchstleistung mit Körperbehinderung. Hermann
wählte das zweite und lag deshalb seither gelähmt und gichtbrüchig
danieder.“ Wenn das keine Beglaubigung für Hermanns Astrolabkun-
de war! Kein Wunder freilich, daß das Mirakel in England und
Deutschland alsbald nur noch den Musiktheoretiker und Komponisten
Hermann empfahl, nicht mehr den Sternkundigen und Instrumenten-
bauer.166 Eben weil der böse Leumund dem Astrolab nun wieder
anhaftete, umging der bayerische Benediktiner Wolfger von Prüfening
seine Erwähnung, als er um 1170 im Katalog kirchlicher Schriftsteller
die Werke Hermanns aufzählte. Wolfger hatte sie in Regensburg alle
zur Hand, doch seine Vorliebe für Liturgie und Musik reichte bis zur
Zeitrechnung, bis zur Sternkunde nicht.167
166 Oxford, Bodleian Library, Codex Digby, Blatt 210 verso. Zum Anfang des
Vermerks oben Anm. 142. Der ungedruckte Schluß lautet: Dicitur quod iste vir
erat bonus et Deo carus. Quadam die angelus venit ad eum et ei duo proposuit, si
vel corporis salutem sine magna sapientia vel maximam scientiam cum corporis
inbecillitate mailet. Hane igitur Hermannus elegit ideoque paraliticus vel podager
postmodum iacuit. Das ist die bisher unerkannte Quelle der Legenden vom
Musiker Hermann. Zu ihnen Jacques Handschin, Hermannus Contractus-
Legenden - nur Legenden? Zeitschrift für deutsches Altertum 72 (1935) S. 1-8,
hier S. 2 f.; Anton E. Schönbach, Über Caesarius von Heisterbach II
(Sitzungsberichte der Philosophisch-historischen Klasse der Wiener Akademie
der Wissenschaften Bd. 159/4,1908) S. 2 f., 8 f.; Borst, Forschungsbericht S. 466
Anm. 183.
167 Wolfger von Prüfening, De scriptoribus ecclesiasticis c. 91, hg. von Francis R.
Swietek (Diss. phil. Urbana, 1978) S. 148. Dazu Franz Fuchs, Zum Anonymus
Mellicensis, DA 42 (1986) S. 213-226, hier S. 224-226.
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Astrolab-Corpus Hermanns abschloß, am Ende einer Handschrift des
frühen 12. Jahrhunderts, die der Abtei St. Augustine in Canterbury
gehörte. Der Schreiber glaubte zu wissen, daß Girbertus selber der
Autor jenes verwickelten Buchs vom Astrolab gewesen sei, das in
diesem Codex vor Hermanns Beschreibung der Säulchen-Sonnenuhr
eingerückt ist. Durch die Lektüre enttäuscht, habe damals Berengar
seinen Freund Hermann gebeten, eine Bauanleitung zu verfassen.
Hermann sei trotz seiner Behinderung nicht nur diesem Wunsch
nachgekommen (der Text steht nun vorn in dem Band), sondern habe
danach auch Gerberts Werk in Ordnung gebracht (ordinavit). Soweit
die rekonstruierten Fakten, nun das überwältigende Wunder.
„Wie man sagt, war dieser Hermann gut und Gott wohlgefällig.
Eines Tages kam ein Engel zu ihm und stellte ihn vor die Alternative:
entweder körperliche Gesundheit ohne besondere Weisheit oder
wissenschaftliche Höchstleistung mit Körperbehinderung. Hermann
wählte das zweite und lag deshalb seither gelähmt und gichtbrüchig
danieder.“ Wenn das keine Beglaubigung für Hermanns Astrolabkun-
de war! Kein Wunder freilich, daß das Mirakel in England und
Deutschland alsbald nur noch den Musiktheoretiker und Komponisten
Hermann empfahl, nicht mehr den Sternkundigen und Instrumenten-
bauer.166 Eben weil der böse Leumund dem Astrolab nun wieder
anhaftete, umging der bayerische Benediktiner Wolfger von Prüfening
seine Erwähnung, als er um 1170 im Katalog kirchlicher Schriftsteller
die Werke Hermanns aufzählte. Wolfger hatte sie in Regensburg alle
zur Hand, doch seine Vorliebe für Liturgie und Musik reichte bis zur
Zeitrechnung, bis zur Sternkunde nicht.167
166 Oxford, Bodleian Library, Codex Digby, Blatt 210 verso. Zum Anfang des
Vermerks oben Anm. 142. Der ungedruckte Schluß lautet: Dicitur quod iste vir
erat bonus et Deo carus. Quadam die angelus venit ad eum et ei duo proposuit, si
vel corporis salutem sine magna sapientia vel maximam scientiam cum corporis
inbecillitate mailet. Hane igitur Hermannus elegit ideoque paraliticus vel podager
postmodum iacuit. Das ist die bisher unerkannte Quelle der Legenden vom
Musiker Hermann. Zu ihnen Jacques Handschin, Hermannus Contractus-
Legenden - nur Legenden? Zeitschrift für deutsches Altertum 72 (1935) S. 1-8,
hier S. 2 f.; Anton E. Schönbach, Über Caesarius von Heisterbach II
(Sitzungsberichte der Philosophisch-historischen Klasse der Wiener Akademie
der Wissenschaften Bd. 159/4,1908) S. 2 f., 8 f.; Borst, Forschungsbericht S. 466
Anm. 183.
167 Wolfger von Prüfening, De scriptoribus ecclesiasticis c. 91, hg. von Francis R.
Swietek (Diss. phil. Urbana, 1978) S. 148. Dazu Franz Fuchs, Zum Anonymus
Mellicensis, DA 42 (1986) S. 213-226, hier S. 224-226.