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Borst, Arno; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1989, 1. Abhandlung): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende: vorgetragen am 11. Februar 1989 — Heidelberg: Winter, 1989

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https://doi.org/10.11588/diglit.48156#0105
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Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende

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feierlich guthießen. Schon wurde der Glaube der Laien an die Macht
der Gestirne zum politischen Faktor.172
Für gelehrtes Denken war es nur folgerichtig, daß im frühen 13.
Jahrhundert der Pariser Mathematiker Jordanus de Nemore die
Astrolabkunde von allen religiösen Verformungen, den frommen wie
den abergläubischen, reinigte und auf ihre antiken Grundlagen zurück-
führte. Sein Traktat ‘De plana sphaera’ kommentierte lediglich die
Schrift ‘Planisphaerium’, in der Ptolemaios die stereographische
Projektion erklärt hatte, und bewies deren Behauptungen geometrisch
auf Euklids Weise, nebenbei auch die Prinzipien des Astrolabs. Es ging
ihm bloß darum, wie verschiedene Klassen von Kreisen jeweils auf eine
Ebene projiziert werden. Zwar ließ er erkennen, daß er noch immer
wie die frühen Astrolab-Konstrukteure, auch Hermann, mit dem
Äquatorkreis begann und die beiden Wendekreise auf ihn bezog, aber
nirgends sprach er vom Astrolab oder gar von dessen Teilen; das holten
erst frühe scholastische Ausweitungen nach. Jordanus nahm „die
Probleme des Astrolabs zum Anlaß, wenn nicht zum Vorwand, um eine
mathematische Theorie der stereographischen Projektion zu schaffen“.
Dabei verschwanden alle Anwendungen, insbesondere zur Zeitmes-
sung, und reine Geometrie blieb übrig.
Das Fach Astronomie an der hochscholastischen Universität befaßte
sich infolgedessen fast nur noch mit Spekulation, kaum mehr mit
Beobachtung. Wenn das Astrolab aus den akademischen Lehrplänen
und Textsammlungen trotzdem nicht völlig verschwand, dann weil sich
an diesem Lehrmittel die Kosmologie anschaulich darstellen ließ. Als
theoretisches Lehrbuch dafür eigneten sich indes Hermanns Schriften
nicht mehr; sie wurden durch den angeblich altarabischen, in Wahrheit
erst soeben lateinisch zusammengestellten Traktat des sogenannten
Messahalla verdrängt.173
172 Rolandinus von Padua, Cronica in factis et circa facta Marchie Trivixane IV,
12-13, hg. von Antonio Bonardi, in: Rerum Italicarum scriptores. Nuova
edizione, Bd. 8/1 (1905) S. 66 f. Zu Theodor Haskins, Studies S. 245-248, 318 f.
Zum Astrolab an Fürstenhöfen Turner, Museum S. 31-34. Zu Rolandin
Girolamo Arnaldi, Cronache con documenti, cronache Gutentiche’ e pubblica
storiografia (zuerst 1976), jetzt in: Storici e storiografia del Medioevo italiano,
hg. von Gabriele Zanella (1984) S. 111-137, hier S. 131-133.
173 De plana spera, propositio 2 a, hg. von Ron B. Thomson, Jordanus de Nemore
and the Mathematics of Astrolabes (Studies and Texts Bd. 39, 1978) S. 98-104
Äquatorkreis; dazu ebd. S. 61 f. Die Ausweitungen ebd. S. 146-150, 188-204.
Zur Mathematik des Autors Jen Hoeyrup, Jordanus de Nemore, 13th Century
Mathematical Innovator. An Essay on Intellectual Context, Achievement, and
 
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