108
Arno Borst
Stimmung und Raumvermessung beachten, doch lieber vergessen sie
es.197
Von den historischen Disziplinen im Stich gelassen, arbeiten die
exakten Wissenschaften ihre Geschichte allein auf, auch die des
Astrolabs. Das geht ebenfalls nicht ohne Verkürzungen ab. Naturwis-
senschaftler achten gemeinhin bloß auf interne Fortschritte der Ein-
zelforschung, als wären sie nicht zu allen Zeiten mit der ganzen
geschichtlichen Umwelt und deren Wandel verquickt. Heutige Astro-
nomen verstehen das Astrolab kaum je als typisch mittelalterliches
Instrument, auf das Muslime und Christen vom 9. bis zum 13.
Jahrhundert ihre klügsten Einsichten projizierten, sondern als großar-
tige Entdeckung der Antike vor Ptolemaios, die vom Mittelalter bloß
schlecht und recht weitergereicht, erst von der Neuzeit seit Kopernikus
grandios Überboten wurde.198
Wer auf diese Weise die Sonderstellung des Mittelalters als Blütezeit
des Astrolabs übersieht, nennt Denkmäler archaischer Zeiten, die
irgendwelche Verfahren der Sternfixierung wiedergeben, unbedenk-
lich Astrolabien, als wäre das hellenistische Instrument so uralt und
weltweit verbreitet wie die Sternkunde selbst.199 Gleich anstandslos
197 Drei rühmliche Ausnahmen: RichardW. Southern, Geistes-und Sozialgeschich-
te des Mittelalters. Das Abendland im 11. und 12. Jahrhundert (zuerst 1960,
21980) S. 58, 180; Robert Delort, Le moyen äge. Histoire illustree de la vie
quotidienne (1972) S. 69; Reiner Dieckhoff, antiqui - moderni. Zeitbewußtsein
und Naturerfahrung im 14. Jahrhundert, in: Die Parier und der schöne Stil
1350-1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, hg. von Anton
Legner, Bd. 3 (1978) S. 67-123, hier S. 101.
198 So Bartel L. van der Waerden, Astrolabium, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1
(1980) Sp. 1135, wo das Mittelalter bloß in der Literaturliste vorkommt. Direkt
von Ptolemaios zu Kopernikus springen die historischen Abrisse bei Richard-
Heinrich Giese, Einführung in die Astronomie (1981) S. 4-8; Stephen W.
Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des
Universums (1988) S.. 13-18. Gegen diese Tendenz Herbert Grundmann,
Naturwissenschaft und Medizin in mittelalterlichen Schulen und Universitäten
(zuerst 1960), jetzt in: Derselbe, Ausgewählte Aufsätze, Bd. 3 (Schriften der
MGH. Bd. 25/3, 1978) S. 343-367, hier S. 344-355.
199 So Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 51 f. ohne Distanzierung; Waerden, Wissen-
schaft Bd. 2 S. 54-83 mit Anführungszeichen über babylonische Astrolabien, die
steinerne Monumente waren, keine transportablen Instrumente. Gegen den
eingebürgerten Sprachgebrauch: Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im
Altertum, hg. von Fritz Jürss (1982) S. 63. Innerhalb der griechischen Antike
zerdehnt Aage G. Drachmann, The Plane Astrolabe and the Anaphoric Clock,
Centaurus 3 (1954) S. 183-189 mit dem Begriff auch die Geschichte des
Astrolabs; ähnlich Turner, Museum S. 10-13.
Arno Borst
Stimmung und Raumvermessung beachten, doch lieber vergessen sie
es.197
Von den historischen Disziplinen im Stich gelassen, arbeiten die
exakten Wissenschaften ihre Geschichte allein auf, auch die des
Astrolabs. Das geht ebenfalls nicht ohne Verkürzungen ab. Naturwis-
senschaftler achten gemeinhin bloß auf interne Fortschritte der Ein-
zelforschung, als wären sie nicht zu allen Zeiten mit der ganzen
geschichtlichen Umwelt und deren Wandel verquickt. Heutige Astro-
nomen verstehen das Astrolab kaum je als typisch mittelalterliches
Instrument, auf das Muslime und Christen vom 9. bis zum 13.
Jahrhundert ihre klügsten Einsichten projizierten, sondern als großar-
tige Entdeckung der Antike vor Ptolemaios, die vom Mittelalter bloß
schlecht und recht weitergereicht, erst von der Neuzeit seit Kopernikus
grandios Überboten wurde.198
Wer auf diese Weise die Sonderstellung des Mittelalters als Blütezeit
des Astrolabs übersieht, nennt Denkmäler archaischer Zeiten, die
irgendwelche Verfahren der Sternfixierung wiedergeben, unbedenk-
lich Astrolabien, als wäre das hellenistische Instrument so uralt und
weltweit verbreitet wie die Sternkunde selbst.199 Gleich anstandslos
197 Drei rühmliche Ausnahmen: RichardW. Southern, Geistes-und Sozialgeschich-
te des Mittelalters. Das Abendland im 11. und 12. Jahrhundert (zuerst 1960,
21980) S. 58, 180; Robert Delort, Le moyen äge. Histoire illustree de la vie
quotidienne (1972) S. 69; Reiner Dieckhoff, antiqui - moderni. Zeitbewußtsein
und Naturerfahrung im 14. Jahrhundert, in: Die Parier und der schöne Stil
1350-1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, hg. von Anton
Legner, Bd. 3 (1978) S. 67-123, hier S. 101.
198 So Bartel L. van der Waerden, Astrolabium, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1
(1980) Sp. 1135, wo das Mittelalter bloß in der Literaturliste vorkommt. Direkt
von Ptolemaios zu Kopernikus springen die historischen Abrisse bei Richard-
Heinrich Giese, Einführung in die Astronomie (1981) S. 4-8; Stephen W.
Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des
Universums (1988) S.. 13-18. Gegen diese Tendenz Herbert Grundmann,
Naturwissenschaft und Medizin in mittelalterlichen Schulen und Universitäten
(zuerst 1960), jetzt in: Derselbe, Ausgewählte Aufsätze, Bd. 3 (Schriften der
MGH. Bd. 25/3, 1978) S. 343-367, hier S. 344-355.
199 So Gunther, Astrolabes Bd. 1 S. 51 f. ohne Distanzierung; Waerden, Wissen-
schaft Bd. 2 S. 54-83 mit Anführungszeichen über babylonische Astrolabien, die
steinerne Monumente waren, keine transportablen Instrumente. Gegen den
eingebürgerten Sprachgebrauch: Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im
Altertum, hg. von Fritz Jürss (1982) S. 63. Innerhalb der griechischen Antike
zerdehnt Aage G. Drachmann, The Plane Astrolabe and the Anaphoric Clock,
Centaurus 3 (1954) S. 183-189 mit dem Begriff auch die Geschichte des
Astrolabs; ähnlich Turner, Museum S. 10-13.