Kunstwerk und Nation
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XVI. Gegenstände eines fortwirkenden Kultes
Nicht ausdrücklich erwähnt sind hier Kultgegenstände, die aber in
Rechtsprechung und Lehre zunehmend dem Staat oder der Nation zuge-
ordnet werden, in dem sich der Kultort befindet, für den das Werk ge-
schaffen wurde.89 Viel zitiert wird hier der Fall des Ziboriums der Kathe-
drale in Burgos, dessen Stifter, der Herzog von Frias und Connetable
von Kastilien, einst im Jahre 1610 die Unveräußerlichkeit bestimmt
hatte.90 Sein Nachfahre sah in einer kostbaren Vase, die der französische
Baron Pichon von spanischen Verkäufern erworben hatte, eben jenes
Ziborium aus Burgos und verklagte den Baron. Das Tribunal de la Seine
wies in seiner Entscheidung vom 17. April 1885 die Klage des Herzogs
ab; spanisches Recht sei bei einer Vase, die in Frankreich gutgläubig
erworben wurde, nicht anzuwenden.91 Es kam also auf das französische
Recht als dem Recht am Lageort zur Zeit des Verkaufs an. Heute gibt es
gewichtige Gegenstimmen.92 Sie entzündeten sich am Fall einer Gottkö-
nigsstatue aus Kamerun, die in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts auf
einer Ausstellung in den USA als Eigentum eines New Yorker Kunst-
händlers auftauchte. Es handelt sich um den Afo-A-Kom, welcher nach
manchen Verhandlungen in seinen Schrein im Hochland Kameruns zu-
rückkehrte. In der Lehre wurde die Ansicht entwickelt, daß Kulturgut
eines fortwirkenden Kultes der Nation zuzuordnen sei, in deren Gebiet
sich der Kultort befindet.93 Meist werden die nationalen Gesetze hier
ohnehin Exportverbote vorsehen.
Betrachtet man die jüngste Rechtsprechung, so zeigen sich allerdings
gelegentlich auch burleske Züge. Dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen vom 5. Juni 1985 lag ein Rechtsstreit zugrunde, in dem
der Eigentümer einer völkerkundlichen Sammlung von staatlichen Stel-
len vergeblich die Aufnahme seiner Sammlung in das „Verzeichnis na-
89 Zur Zeit steht die Frage an, ob der Domschatz von Quedlinburg, der in Texas auf-
tauchte, wieder zurückgeführt werden kann.
90 Vgl. Lagarde, Le commerce de l’art en droit international prive frangais, in: Pierre
Lalive (Hrsg.), oben Note 18, S. 389ff., 403-404.
91 Tribunal civil de la Seine, 17. 4. 1885, in: Clunet-Journal de Droit International Prive
et de la Jurisprudence Comparee 13 (1886), 593ff. Das Gericht sah den Art. 2279 Code
Civil („En fait de meubles, la possession vaut titre“) als „loi de police“ an „obligeant,
suivant l’art. 3 du Code Civil, tous ceux qui habitent sur le territoire franqais“ (595).
92 Vgl. Merryman, II controllo nazionale sull’esportazione dei beni culturali, Rivista di
diritto civile 1988-1, 633ff., 637f.; zum „Afo-A-Kom“ vgl. Nafziger, oben Note 33,
809.
93 Merryman, vorige Note.
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XVI. Gegenstände eines fortwirkenden Kultes
Nicht ausdrücklich erwähnt sind hier Kultgegenstände, die aber in
Rechtsprechung und Lehre zunehmend dem Staat oder der Nation zuge-
ordnet werden, in dem sich der Kultort befindet, für den das Werk ge-
schaffen wurde.89 Viel zitiert wird hier der Fall des Ziboriums der Kathe-
drale in Burgos, dessen Stifter, der Herzog von Frias und Connetable
von Kastilien, einst im Jahre 1610 die Unveräußerlichkeit bestimmt
hatte.90 Sein Nachfahre sah in einer kostbaren Vase, die der französische
Baron Pichon von spanischen Verkäufern erworben hatte, eben jenes
Ziborium aus Burgos und verklagte den Baron. Das Tribunal de la Seine
wies in seiner Entscheidung vom 17. April 1885 die Klage des Herzogs
ab; spanisches Recht sei bei einer Vase, die in Frankreich gutgläubig
erworben wurde, nicht anzuwenden.91 Es kam also auf das französische
Recht als dem Recht am Lageort zur Zeit des Verkaufs an. Heute gibt es
gewichtige Gegenstimmen.92 Sie entzündeten sich am Fall einer Gottkö-
nigsstatue aus Kamerun, die in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts auf
einer Ausstellung in den USA als Eigentum eines New Yorker Kunst-
händlers auftauchte. Es handelt sich um den Afo-A-Kom, welcher nach
manchen Verhandlungen in seinen Schrein im Hochland Kameruns zu-
rückkehrte. In der Lehre wurde die Ansicht entwickelt, daß Kulturgut
eines fortwirkenden Kultes der Nation zuzuordnen sei, in deren Gebiet
sich der Kultort befindet.93 Meist werden die nationalen Gesetze hier
ohnehin Exportverbote vorsehen.
Betrachtet man die jüngste Rechtsprechung, so zeigen sich allerdings
gelegentlich auch burleske Züge. Dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen vom 5. Juni 1985 lag ein Rechtsstreit zugrunde, in dem
der Eigentümer einer völkerkundlichen Sammlung von staatlichen Stel-
len vergeblich die Aufnahme seiner Sammlung in das „Verzeichnis na-
89 Zur Zeit steht die Frage an, ob der Domschatz von Quedlinburg, der in Texas auf-
tauchte, wieder zurückgeführt werden kann.
90 Vgl. Lagarde, Le commerce de l’art en droit international prive frangais, in: Pierre
Lalive (Hrsg.), oben Note 18, S. 389ff., 403-404.
91 Tribunal civil de la Seine, 17. 4. 1885, in: Clunet-Journal de Droit International Prive
et de la Jurisprudence Comparee 13 (1886), 593ff. Das Gericht sah den Art. 2279 Code
Civil („En fait de meubles, la possession vaut titre“) als „loi de police“ an „obligeant,
suivant l’art. 3 du Code Civil, tous ceux qui habitent sur le territoire franqais“ (595).
92 Vgl. Merryman, II controllo nazionale sull’esportazione dei beni culturali, Rivista di
diritto civile 1988-1, 633ff., 637f.; zum „Afo-A-Kom“ vgl. Nafziger, oben Note 33,
809.
93 Merryman, vorige Note.