Metadaten

Jayme, Erik; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 1. Abhandlung): "Entartete Kunst" und internationales Privatrecht: vorgetragen am 6. November 1993 — Heidelberg: Winter, 1994

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48170#0043
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Entartete Kunst

33

dem Rechtsgefühl beruhen.110 Solche Argumente vermögen aber
die Auslegung und Konkretisierung der allgemeinen Begriffe
„Recht und Unrecht“, „guter Glaube“ oder „wohlerworbene Rechte“
zu beeinflussen.117

1. Das Argument der „Rettung“ der Kunstwerke
Immer wieder kann man lesen, daß die Veräußerung der Kunst-
werke ihre Rettung bedeutete. So enthält das in München 1987
erschienene Buch „Nationalsozialismus und ‘Entartete Kunst’“ als
Vorbemerkung eine einleitende Betrachtung, die den Titel trägt:
„Nationalsozialistischer Bildersturm und Rettung der Moderne“.118
Es ist richtig: Die veräußerten Bilder fielen nicht - wie ca. 5000
andere119 - der Vernichtung anheim, sondern erhielten meist ehren-
volle Plätze in bedeutenden Museen. Hier sträubt sich unser
Rechtsgefühl, wenn man daran denkt, daß die Retter diese Werke
wieder herausgeben sollen.
Das „Rettungsargument“ ist allerdings ein sehr altes. Es tauchte
bei der Frage einer Rückführung der„Bibliotheca Palatina“ oder des
Parthenon-Frieses auf120 und geht dahin, daß die Kulturgüter,
wären sie an Ort und Stelle geblieben, vernichtet worden, also heute

116 Zum Verhältnis von „Rechtsgefühl“ und „Vorurteil“ vgl. Larenz, Methodenlehre
der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 1979, S. 489.
117 Zur Bedeutung des Vorverständnisses in der juristischen Hermeneutik vgl.
Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung 1970, S. 133ff.;
vgl. auch Rüthers, Die Ideologieanfälligkeit der Rechtswissenschaft, in: Ideolo-
gieanfälligkeit der Geisteswissenschaften 1991, hier zitiert nach dem nicht pagi-
nierten Sonderdruck.
Es geht darum, das Rechtsgefühl als Auslegungsquelle nicht zu leugnen,
sondern bewußt zu machen, um es kontrollieren zu können. Vgl. auch Albert A.
Ehrenzweig, Psychoanalytic Jurisprudence, 1971.
118 Falkner von Sonnenberg/Schuster, in: Schuster (Hrsg.), oben Note 24, S. 7ff.
119 Barron, oben Note 1, S. 145 („einer möglichen Zerstörung entrissen“). Vgl.
hierzu Georg Kreis, oben Note 47, S.21.
120 Vgl. Merryman, Thinking About the Elgin Marbles, Michigan Law Review 83
(1985), 1881 ff., 1906-1907 (auch zu dem Argument der „historical inevitability“:
wenn die Engländer den Parthenon Fries nicht weggenommen hätten, so wären
es die Franzosen oder die Deutschen gewesen).
Vgl. ferner Hugger, Rückführung nationaler Kulturgüter und internationales
Recht am Beispiel der Elgin Marbles, JuS 1992, 997ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften