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Schluchter, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1994, 2. Abhandlung): Individuelle Freiheit und soziale Bindung: vom Nutzen und Nachteil der Institutionen für den Menschen; vorgetragen am 16. Januar 1993 — Heidelberg: Winter, 1994

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https://doi.org/10.11588/diglit.48171#0024
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Wolfgang Schluchter

Beherrschten wie zu anderen Ordnungen und Mächten, insbeson-
dere zu den wirtschaftlichen und den religiösen. Denn diesen Ord-
nungen und Mächten gegenüber hat er eine spezifische Rationali-
tät, die politische Verfahrensrationalität, zu vertreten, und er kann
bei Kollision mit anderen rationalen und mit nichtrationalen For-
derungen allenfalls noch die Rolle des primus inter pares überneh-
men, und dies auch nur deshalb, weil er, allerdings durch zwischen-
staatliche Beziehungen zunehmend gebrochen, neben dem
Gewaltmonopol über das Rechtsetzungsmonopol verfügt.
Nach Weber beruhen moderne Gesellschaften auf einer Aus-
differenzierung von kulturellen Wertsphären, die in Lebensord-
nungen ihre institutionelle und in Lebensführungen ihre perso-
nelle Verkörperung haben. Lebensordnungen gebühren Eigen-
rechte, und nur wenn diese respektiert werden, setzen sie
bereichsspezifische Rationalisierungsprozesse frei. Je eigengesetz-
licher sie sich aber entwickeln, desto größer werden die Spannun-
gen zwischen ihnen. Dies löst Gegenbewegungen in und zwischen
ihnen aus. Weber beschreibt sie unter anderem als das Gegenein-
ander von formaler und materialer Rationalisierung, einer Rationa-
lisierung mittels Verfahren und einer mittels wertender Postulate.
Der moderne Staat steht im Zentrum dieses spannungsreichen
Gegeneinander. Doch damit wird er nicht zum Träger gesellschaft-
licher Synthese. Dem Polytheismus der Werte muß ein Polyzen-
trismus der Ordnungen entsprechen. Keine Teilordnung steht
mehr fürs Ganze, auch nicht der Staat.
Gesellschaften müssen also zunächst auf einen arbeitsteiligen
Institutionenpluralismus setzen, der den Staat begrenzt, wollen sie
der modernen Idee der subjektiven Freiheit Rechnung tragen.
Darin gibt es zwischen Weber, Dürkheim und selbst Hegel keine
Differenz. Doch Weber geht einen Schritt weiter als diese beiden.
Er entgöttlicht und entsakralisiert den modernen Staat radikal.
Schon die Forderung nach einer Zivilreligion muß aus seiner Per-
spektive Verdacht erregen. Verfassungspatriotismus, natürlich
nicht sein Begriff, wohl aber einer in seinem Geiste, genügt für
‘Weberianer’ allemal. Vor allem aber muß dieser arbeitsteilige
Institutionenpluralismus das Gegen- und Miteinander von unter-
schiedlichen Legitimations- und Organisationsformen im Rahmen
der Satzungsherrschaft spiegeln, weil nur dies letztlich relative
Offenheit auch der politischen Abläufe gewährleistet. Webers
„staatstechnische“ Vorschläge zur Reform der Verfassung des Kai-
 
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