burger Grabstein Kapitalis (nr. 100); ihm folgt eine hervorragend gemeißelte Inschrift auf dem
Epitaph des Orendel von Gemmingen (nr. 261), bereits völlig ausgebildet und sicher in einer mit plastischen
und dekorativen Arbeiten sehr vertrautenWerkstatt gearbeitet, wofür die Verwandtschaft des Orendel
von Gemmingen mit dem Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen ein Verbindungsglied darstellen
könnte. Ihr folgt wenig später dann eine (nur sehr fragmentarisch erhaltene Bauinschrift an der Burg
Steinsberg (nr. 267) aus dem Jahre 1527, danach eine Bauinschrift am Schwetzinger Schloß von 1541
(nr. m), deren Auftraggeber der Kurfürst war50). Das erste Vorkommen der Kapitalis an Bauinschriften
- wie in Heidelberg, nur mit entsprechender zeitlicher Verzögerung - ist bezeichnend dafür, daß die Kapi-
talis für „offizielle Inschriften“ besonders bevorzugt wurde51). Das läßt sich auch bei der weiteren Verbrei-
tung nachweisen; in Ladenburg, Ilvesheim, Weinheim und Neidenstein werden Bauinschriften vorzugs-
weise in Kapitalis ausgeführt und sie gewinnt vor allem da das Übergewicht, wo Denkmäler für gehobene
Ansprüche in Auftrag gegeben wurden. Die qualitätvollen Grabmäler in Weinheim, Neckarbischofsheim
und Neidenstein verwenden als Schriftart ausschließlich die Kapitalis. Eine Entwicklung in der formalen
Ausprägung ist bei dieser Schriftart im hier vorliegenden Material nicht festzustellen. Das M - von Kloos
für den Münchener Raum als „Leitbuchstabe“ bezeichnet52) - kommt in den verschiedensten Varianten
und ohne sichtbare zeitliche Eingrenzung eines Typs vor; I kommt mit und ohne Punkt vor, Ligaturen
und Enklaven werden nach Bedarf verwendet53 *). Ein Zusammenhang besteht ganz sicher zwischen tech-
nischem Können des Steinmetzen und Schriftgestaltung. Die ganz klassische Kapitalis findet sich - zu
welcher Zeit immer - an Denkmälern, die sich als Arbeiten einer qualifizierten Werkstatt erweisen. Deut-
lich wird das etwa an einer Epitaph-Werkstatt, die für Neckarbischofsheim in den letzten Jahrzehnten
des 16. Jahrhunderts arbeitete und einem für Weinheim 1558 gearbeiteten Epitaph: das verwendete Alpha-
bet weist keine Unterschiede auf, die auf eine Entwicklung schließen lassen. Möglicherweise arbeiteten
größere Werkstattbetriebe mit Schriftmustern, die über einen längeren Zeitraum als Vorlage dienten und
individuelle Schriftgestaltung weitgehend ausschlossen 5I). Freiheiten im Schrifttyp sind vorzugsweise bei
Arbeiten zu beobachten, die offenbar Einzelarbeiten eines nicht spezialisierten Handwerkers waren, der
dann seiner persönlichen Vorstellung folgte.
Diese Beobachtungen sind noch durch weitere Überlegungen zu ergänzen: es handelte sich bei der
Kapitalis wie bei allen Monumcntalschriften nicht um Neuschöpfungen, sondern um Rezeption gegebener
Schriftformen einer anderen Technik und deren Abwandlung für ein anderes Material. Daher sind
wahrscheinlich Zcitgrenzen viel weniger verbindlich als man bisher vermutet hat; die Aussage etwa, daß
eine Renaissance-Kapitalis vor einem bestimmten Zeitpunkt in Deutschland unmöglich sei, geht an die-
sen Gegebenheiten vorbei. Sie war letzten Endes immer möglich, sofern sie auf Vorbilder zurückgreifen
konnte. Für eine Rezeption kommt es dabei auf die Frage an, ob ein Initiator da war - ein Auftraggeber
für eine Arbeit -, dessen geistige Interessen weitgespannt genug waren, um nicht nur dem Inhalt einer
Inschrift, sondern auch ihrer äußeren Gestaltung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und ob dieser Initiator
dann eine ausfiihrendc Kraft fand - einen Handwerker, Steinmetz -, der in der Lage war, neue Schrift-
formen in Stein, Metall oder anderem Material auszuführen. Deshalb kann eine Schriftart gelegentlich
durchaus verfrüht und scheinbar singulär auftreten, während sie erst viele Jahrzehnte später Allgemein-
gut wird55).
Die gotische Minuskel
Die Minuskelschrift setzt im Bearbeitungsgebiet mit einer Grabschrift des Jahres 1356 in der Laden-
burger Galluskirche ein (nr. 18). Das läuft zeitlich etwa parallel zu den benachbarten Gebieten, wo 1379
50) Kurfürst Ludwig V. (1508-1544), der vielleicht am Schwetzinger Schloß die gleiche Bauhütte beschäftigte wie
an der Heiliggeistkirche in Heidelberg; die Schriftformen der Kapitalis weisen verwandte Züge auf.
51) Die gleiche Beobachtung macht D. Lutz für die Rothenburger Inschriften: DI. XV (Rothenburg o. T.) p.xxx.
- Die Bauinschriften des vorliegenden Bandes in Ladenburg und Weinheim (nr. 162 und nr. 154) in Fraktur sprechen
nicht gegen diese Beobachtung, weil ihre Urheber Privatleute waren.
52) Vgl. DI. V (München) p. XXIV.
53) Kennzeichnend dafür die Inschrift nr. 140 von 1583 aus Weinheim, aber auch die Portalinschriften der
Stadtkirche von Neckarbischofsheim (1612) nrr. 329, 330, bei dcnenWörter oder Silben, für deren Ausführung der
Raum knapp wurde, am Zeilenende in Minuskelbuchstaben aus- oder fortgeführt wurden.
51) Mir erscheint das evident für den Steinmetzbetrieb, der einen Teil der Neckarbischofsheimer Grabsteine und
Tafeln für die Epitaphien arbeitete: 1578 bis 1595 ist dort für verschiedene Stücke deutlich die gleiche Schrift nach-
weisbar; vgl. nr. 297 mit Anm. 6 und 7.
55) Eine Untersuchung über die räumliche und zeitliche Verbreitung der gotischen Minuskel und der Renais-
sance-Kapitalis in der Monumentalschrift, die diese Überlegungen näher ausführen und begründen wird, hoffe ich
in Kürze vorlegen zu können.
Epitaph des Orendel von Gemmingen (nr. 261), bereits völlig ausgebildet und sicher in einer mit plastischen
und dekorativen Arbeiten sehr vertrautenWerkstatt gearbeitet, wofür die Verwandtschaft des Orendel
von Gemmingen mit dem Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen ein Verbindungsglied darstellen
könnte. Ihr folgt wenig später dann eine (nur sehr fragmentarisch erhaltene Bauinschrift an der Burg
Steinsberg (nr. 267) aus dem Jahre 1527, danach eine Bauinschrift am Schwetzinger Schloß von 1541
(nr. m), deren Auftraggeber der Kurfürst war50). Das erste Vorkommen der Kapitalis an Bauinschriften
- wie in Heidelberg, nur mit entsprechender zeitlicher Verzögerung - ist bezeichnend dafür, daß die Kapi-
talis für „offizielle Inschriften“ besonders bevorzugt wurde51). Das läßt sich auch bei der weiteren Verbrei-
tung nachweisen; in Ladenburg, Ilvesheim, Weinheim und Neidenstein werden Bauinschriften vorzugs-
weise in Kapitalis ausgeführt und sie gewinnt vor allem da das Übergewicht, wo Denkmäler für gehobene
Ansprüche in Auftrag gegeben wurden. Die qualitätvollen Grabmäler in Weinheim, Neckarbischofsheim
und Neidenstein verwenden als Schriftart ausschließlich die Kapitalis. Eine Entwicklung in der formalen
Ausprägung ist bei dieser Schriftart im hier vorliegenden Material nicht festzustellen. Das M - von Kloos
für den Münchener Raum als „Leitbuchstabe“ bezeichnet52) - kommt in den verschiedensten Varianten
und ohne sichtbare zeitliche Eingrenzung eines Typs vor; I kommt mit und ohne Punkt vor, Ligaturen
und Enklaven werden nach Bedarf verwendet53 *). Ein Zusammenhang besteht ganz sicher zwischen tech-
nischem Können des Steinmetzen und Schriftgestaltung. Die ganz klassische Kapitalis findet sich - zu
welcher Zeit immer - an Denkmälern, die sich als Arbeiten einer qualifizierten Werkstatt erweisen. Deut-
lich wird das etwa an einer Epitaph-Werkstatt, die für Neckarbischofsheim in den letzten Jahrzehnten
des 16. Jahrhunderts arbeitete und einem für Weinheim 1558 gearbeiteten Epitaph: das verwendete Alpha-
bet weist keine Unterschiede auf, die auf eine Entwicklung schließen lassen. Möglicherweise arbeiteten
größere Werkstattbetriebe mit Schriftmustern, die über einen längeren Zeitraum als Vorlage dienten und
individuelle Schriftgestaltung weitgehend ausschlossen 5I). Freiheiten im Schrifttyp sind vorzugsweise bei
Arbeiten zu beobachten, die offenbar Einzelarbeiten eines nicht spezialisierten Handwerkers waren, der
dann seiner persönlichen Vorstellung folgte.
Diese Beobachtungen sind noch durch weitere Überlegungen zu ergänzen: es handelte sich bei der
Kapitalis wie bei allen Monumcntalschriften nicht um Neuschöpfungen, sondern um Rezeption gegebener
Schriftformen einer anderen Technik und deren Abwandlung für ein anderes Material. Daher sind
wahrscheinlich Zcitgrenzen viel weniger verbindlich als man bisher vermutet hat; die Aussage etwa, daß
eine Renaissance-Kapitalis vor einem bestimmten Zeitpunkt in Deutschland unmöglich sei, geht an die-
sen Gegebenheiten vorbei. Sie war letzten Endes immer möglich, sofern sie auf Vorbilder zurückgreifen
konnte. Für eine Rezeption kommt es dabei auf die Frage an, ob ein Initiator da war - ein Auftraggeber
für eine Arbeit -, dessen geistige Interessen weitgespannt genug waren, um nicht nur dem Inhalt einer
Inschrift, sondern auch ihrer äußeren Gestaltung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und ob dieser Initiator
dann eine ausfiihrendc Kraft fand - einen Handwerker, Steinmetz -, der in der Lage war, neue Schrift-
formen in Stein, Metall oder anderem Material auszuführen. Deshalb kann eine Schriftart gelegentlich
durchaus verfrüht und scheinbar singulär auftreten, während sie erst viele Jahrzehnte später Allgemein-
gut wird55).
Die gotische Minuskel
Die Minuskelschrift setzt im Bearbeitungsgebiet mit einer Grabschrift des Jahres 1356 in der Laden-
burger Galluskirche ein (nr. 18). Das läuft zeitlich etwa parallel zu den benachbarten Gebieten, wo 1379
50) Kurfürst Ludwig V. (1508-1544), der vielleicht am Schwetzinger Schloß die gleiche Bauhütte beschäftigte wie
an der Heiliggeistkirche in Heidelberg; die Schriftformen der Kapitalis weisen verwandte Züge auf.
51) Die gleiche Beobachtung macht D. Lutz für die Rothenburger Inschriften: DI. XV (Rothenburg o. T.) p.xxx.
- Die Bauinschriften des vorliegenden Bandes in Ladenburg und Weinheim (nr. 162 und nr. 154) in Fraktur sprechen
nicht gegen diese Beobachtung, weil ihre Urheber Privatleute waren.
52) Vgl. DI. V (München) p. XXIV.
53) Kennzeichnend dafür die Inschrift nr. 140 von 1583 aus Weinheim, aber auch die Portalinschriften der
Stadtkirche von Neckarbischofsheim (1612) nrr. 329, 330, bei dcnenWörter oder Silben, für deren Ausführung der
Raum knapp wurde, am Zeilenende in Minuskelbuchstaben aus- oder fortgeführt wurden.
51) Mir erscheint das evident für den Steinmetzbetrieb, der einen Teil der Neckarbischofsheimer Grabsteine und
Tafeln für die Epitaphien arbeitete: 1578 bis 1595 ist dort für verschiedene Stücke deutlich die gleiche Schrift nach-
weisbar; vgl. nr. 297 mit Anm. 6 und 7.
55) Eine Untersuchung über die räumliche und zeitliche Verbreitung der gotischen Minuskel und der Renais-
sance-Kapitalis in der Monumentalschrift, die diese Überlegungen näher ausführen und begründen wird, hoffe ich
in Kürze vorlegen zu können.