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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0010
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VI

Vorwort.

leben. Nullos magis odi, sagte er einmal, quam eos, qui caeremonias liberas et innoxias
exturbant et necessitatem ex libertate faciunt (de Wette 3, 294). Und ähnliche Äusserungen
über die christliche Freiheit finden sich mehrfach. Hierbei dachte Luther allerdings wesentlich
nur an die den neuen Grundsätzen entsprechende Umgestaltung des Kultus, der Sakramente und
der Lehre. Daher schreiben auch die Bekenntnissschriften die Befugniss, kirchliche Ordnungen,
Ordinationes, caeremoniae, traditiones, aufzustellen, dem bischöflichen (= Pfarr-)Amte, dem
Lehramte zu. (A. C. Art. 7, 28; Apol. 14; Melanchthon, Loci theol. [zweite Bearbeitung] Corp.
Ref. XXI, S. 503, 511ff.; Köhler, Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht 6, 162ff.; Sohm,
Kirchenrecht [Leipzig 1892] S. 579.) In der That finden wir in der ersten Zeit der
Reformation viele von Pfarrern ausgearbeitete Ordnungen als erste Grundlage des neuen
Kirchenwesens. Sie wurden bisweilen auch in anderen Gemeinden beobachtet und dienten
als Norm, ohne dass eine eigentlich rechtschaffende Quelle sie mit gesetzlicher Kraft begabt
hätte. Um von den Schöpfungen einer Autorität wie Luther ganz abzusehen, denke
man z. B. für Allstedt an die Ordnungen Münzer’s, für Erfurt an die Messe Lang’s, für
Nürnberg an die Ordnung der Pröbste Pessler und Pömer, an die Messe von Döber, für Nörd-
lingen an die Messe von Kantz, für Regensburg an die Ordnung von Hieronymus Noppus, für
Wertheim an die Ordnung von Franz Kolb u. s. w. Welche Verbreitung und Geltung fand nicht
Veit Dietrich’s Agendbüchlein für die Pfarrherrn auf dem Lande! (Zu den Kirchen-Ordnungen,
welche vom Lehramte ausgingen, zähle ich nicht, wie das Sohm (a. a. O. S. 579) thut, die
Ordnungen der preussischen Bischöfe von Samland und Pomesanien. Diese beiden Reformmandate
wurden zwar von den Bischöfen ganz selbständig erlassen, aber doch kraft ihrer Autorität als
Bischöfe, als iudices ordinarii in katholischem Sinne; diese Mandate liegen zeitlich vor der Ab-
tretung der weltlichen Regierung an den Hochmeister Albrecht. Die nach dieser Zeit in Preussen
ergangenen Ordnungen sind als landesherrliche, staatliche zu charakterisiren.)
Solche vom Lehramte ausgehende Ordnungen finden wir auch noch in späterer Zeit.
Wurden sie nicht ausdrücklich von einer rechtschaffenden Instanz anerkannt, so gewannen sie
ihre rechtliche Geltung durch thatsächliche Übung. Insbesondere bei der Gestaltung des Gottes-
dienstes und der Auswahl ihrer Agenden verfuhren die Pfarrer mit der grössten Freiheit. Wie
sagt doch noch die Wittenberger Kirchen - Ordnung von 1533: „Dann es sollen die ceremonien
nicht notige gesetze sein, sondern in des pfarrers gewalt stehen, darin zu handeln, wie es zum
besten dienen wird.“ So bestand denn, und zwar selbst bei Vorhandensein eigener Landes-
Kirchen-Ordnungen, die grösste Mannigfaltigkeit. (Man vgl. z. B. die Klagen der kursächsischen
Kirchen - Ordnung von 1580 im Abschnitte „Von der Kirchenagende“.) Erst recht natürlich,
wo strenge Gesetze fehlten oder nicht gehandhabt wurden. So stellte sich bei der Visitation im
Sachsen-Coburgischen 1613/14 heraus, dass hinsichtlich der Ceremonien beinahe in jedem Dorf
eine andere Ordnung galt.
Diese Privatarbeiten dürfen in einer Sammlung von Kirchen-Ordnungen nicht fehlen.
Hierhin gehören aber auch private Gutachten von Geistlichen, wenn sie bei der Reformirung
einer Gemeinde zu Grunde gelegt wurden und somit gewissermassen die rechtliche Grundlage
der Organisation gebildet haben. (So z. B. die Artikel von Lüneburg, nicht dagegen z. B.
Opstel der Lüneburger Predicanten für Ostfriesland 1534.)
Wenn die Bekenntnissschriften dem Lehramte die Befugniss zur Ausarbeitung der Ord-
nungen ertheilen, und wenn sich solcher Ordnungen namentlich in der ersten Zeit auch nicht
wenige finden, so wird doch diese Quelle kirchlicher Rechtsbildung frühzeitig vollkommen in den
Schatten gestellt durch die obrigkeitliche Rechtssetzung. Die Gründe brauchen hier nicht er-
örtert zu werden. Sie stehen im engsten Zusammenhange mit der bekannten Geschichte der
evangelischen Kirchenverfassung.
Die freiheitliche Entwickelung der Dinge, wie sie Luther ursprünglich als Ideal vor-
 
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