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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0098
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Ernestinisches Sachsen. Cap. V. 1572—1600. Weimarer Theil.

A. Visitationen.
Die Quellen unterscheiden:
a) General- und Spezial-Visitationen,
b) General- und Lokal-Visitationen,
c) General- und Partikular-Visitationen.
a) General-Visitationen sind diejenigen, welche von der Centralstelle ausgehen und sich
über das ganze Land erstrecken, daher auch zumeist allgemeine, organisatorische Zwecke ver-
folgen. Ist letzteres der Fall, so kann die Visitation auch nur einzelne abgeschlossene Theile des
Landes betreffen und wird dann ebenfalls „General-Visitation“ genannt; vgl. z. B. unten
Albertinisches Sachsen Cap. 3, VII: General-Visitation zweier Landestheile.
Spezial-Visitationen beziehen sich entweder auf einzelne Bezirke, einzelne Pfarreien, und
werden daher zumeist von den Superintendenten vorgenommen, oder sie betreffen irgend einen
speziellen Punkt, z. B. einen Lehrpunkt, und gehen dann auch wohl von der höchsten Stelle
aus. Aus diesem Grunde unterscheidet die K.O. Kurfürst August’s von 1580 „General“- und
„Spezial“ - Superintendenten. Die letzteren sind die Superintendenten eines kleineren Bezirkes.
b) General- und Lokal-Visitationen. Lokal-Visitationen sind diejenigen, bei welchen der
Visitator am Wohnsitze des Visitanden die Untersuchung anstellt, und zwar nicht im Verfolg
einer grossen, sich über das ganze Land erstreckenden Visitation, „sondern auch zu gelegener
zeith, im jar, insonderheit von einem jeden superintendenten bei den pfarrherrn so ihnen be-
volhen.“ (Vgl. Celler K.O. bei Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen.
S. 62.) In einem besonderen Sinne werden Lokal-Visitationen diejenigen genannt, welche der
Superintendent (oder sein Adjunkt) nach den Anordnungen des Kurfürsten August für das
Albertinische und Ernestinische Sachsen jährlich zweimal vorzunehmen hatte.
c) General- und Partikular-Visitationen. ■ Diese Eintheilung stammt aus dem kanonischen
Recht. Während die ersten Visitationen der Einführung und Begründung der Reformation
dienten, hatten die späteren namentlich auch die Untersuchung über Leben und Wandel der
Geistlichen und Laien im Auge, und nahmen daher mehr den Charakter von Inquisitionen an.
Sie dienten also gleichzeitig der kirchlichen Straf- und Disziplinar-Gewalt. Daher heisst es so
oft in der Instruktion der Visitatoren, sie sollen „visitiren und inquiriren“.
Hierbei knüpfte man an das kanonische Recht an und unterschied wie dieses General- und
Partikular-Visitationen. Man vergleiche für die völlige Wiederholung des kanonischen Inquisitions-
verfahrens nur das Gutachten der Leipziger Lätare-Conferenz 1544 im Abschnitt „Von der Visitation
und Inquisition“ (abgedruckt bei Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen,
S. 148 ff.). UnterGeneral-Inquisition versteht das kanonische Recht eine solche, welche der kirch-
liche Obere in Folge seines Amtes anstellt, z. B. bei einer Visitation, um zu ermitteln, ob und
welche Delikte in dem ihm unterstellten Bezirke oder Personengesammtheit vorgekommen sind;
unter Spezial - Inquisition dagegen diejenige, welche sich gegen eine bestimmte Person, wegen
eines bestimmten Vergehens richtet (vgl. Hinschius, Kirchenrecht 5, 354 ff. 6,69). Für diese
Spezial - Inquisition kommt in späteren Quellen auch der Ausdruck „Partikular-Visitation" vor.
(Vgl. Gutachten der Leipziger Lätare-Conferenz, 1544, woselbst das kanonische Verfahren voll-
ständig recipirt ist: inquisitio per denuntiationem, per diffamationem und purgatio. Vgl. Seh-
ling, a. a. O. S. 9, 148.). Unter Partikular-Visitation oder -Inquisition verstehen die evan-
gelischen Quellen in einem etwas weiteren Sinne also solche Untersuchungen, bei denen jeder
Einzelne, namentlich jeder einzelne Pfarrer für sich, nach Lehre und Leben inquirirt und
examinirt wird.
Diese Ausdrücke werden nun in den Quellen keineswegs immer in so scharfer Abgrenzung
gegen einander gebraucht. Ausserdem kann selbst nach unserer Formulirung eine Visitation
 
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