160
Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.
Denn hiemit wird der lere von beider gestalt
nichts abgebrochen, noch dawider geleret, sondern
allein das werk oder brauch solcher lere durch
gedult christlicher liebe eine zeitlang aufgezogen.
Gleich wie Christus viel stücke von seinen aposteln
duldet, die unrecht waren, als da sie die Samariter
mit feur verbrennen wolten, Luce am 9. Item,
da sie umb die öbrikeit zankten, Matthei am 20.
Des selbigen gleichen viel nachlies, das sie zu der
zeit nicht tragen, noch thun kunten, als das sie
noch nicht den heiligen geist hatten und für dem
tod flohen, und sich für den jüden forchten,
Christum zu bekennen, da er tod war. Und noch
heutiges tags gott viel von uns duldet, und in
andern dulden heisst, das doch unrecht oder zu
wenig ist, als schwachen glauben und ander ge-
brechen, zun Rom. am 14. und 15.
Aber weil in dem allen die lere von solchen
stücken dennoch erhalten, und nichts dawider ge-
leret wird, entschuldiget und tregt die liebe alle
solche unvollkomen breuche der lere.
Item, es ist auch unfreundlich, ja unchrist-
lich , solche schwachen zu zwingen zu beider ge-
stalt, oder einerlei zu wegern, denn damit werden
sie zu sundigen gezwungen, nemlich, wenn sie
beider gestalt wider ihre gewissen nemen, so
beichten sie denn hernach und büssen, als für
eine grosse ketzerei, wie wir oft erfaren haben.
Widerümb, achten sie es auch für ketzerei, wenn
sie einerlei gestalt nach irer gewonheit nicht ’
nemen sollen, das also auf beiden seiten ihr
schwacher glaube sich mit grossen sunden, als
ketzerei, wiewol felschlich, beschweret, welchs
viel erger ist, denn das sie der lere von beider
gestalt eine zeitlang nicht vollen gehorsam oder
ubung beweisen, wie S. Paul zun Römern am 14.
spricht, wer sich selbs urteilet, in dem das er
isset, der ist verdampt.
Item, also duldet Paulus die beschneidung und
jüdische speise, dieweil doch daneben frei gieng
die lere von freiheit aller speise, welche freiheit
zu leren und halten auch gottes gebot und ord-
nung war, und dennoch der brauch bei den
schwachen nachbleib, do der lere nichts entgegen
geleret ward.
Zum dritten, wo aber halsstarrige sind, die
es weder lernen noch thun wöllen, da sol man
stracks keine gestalt ihnen reichen, sondern sie
faren lassen, wie S. Paulus Titum zun Galatern
am andern capitel nicht wolt beschneiden lassen,
da die jüden drauf drangen, und die freiheit ver-
dammen wolten. Denn solche halsstarrigen sind
nicht allein unvollkommen im brauch der lere,
sondern sie wollen die lere dazu auch verdampt
und unrecht haben. Da ist nichts zu leiden noch
zu dulden, denn die lere sol stracks und rein
laufen, ob gleich die werk und brauch langsam
hernach kriechen oder schleichen, laufen oder
springen.
Welche aber schwach oder halsstarrige sind,
das mus der pfarherr, der die leute kennet und
teglich mit ihnen umbgehet, merken, und kans
leichtlich dabei mercken, wenn es gutherzige
leute sind, die gerne zur predigt gehen, und gerne
lernen wolten, und sich auch dazu recht stellen.
Die rohen aber und verruchten, so predigen
nicht achten, sollen nimmer mehr für schwachen
gerechnet werden, wie hoch sie auch solchs
fürgeben.
Der dritte artickel, daran auch am aller-
meisten gelegen ist, das man lere, warumb man
sol das sacrament brauchen, und wie man geschickt
sein sol.
Zum ersten sollen die pfarherr die leute
unterrichten, wie grosse sunde es ist, das sacra-
ment unehren, und nicht recht brauchen, denn
Paulus' spricht in der 1. zun Cor. am 11. Sie
sind schüldig am leibe und blut Christi, und
spricht, sie nemens ihnen zur strafe. Item, es sind
auch viel darümb kranck, und viel gestorben unter
den Christen. Denn gott spricht im andern gebot,
Exodi am 20. capi. Wer seinen namen unehret,
wölle er nicht unschüldig halten, on zweifel wird
auch nicht ungestraft bleiben diese unehre, die
dem leibe und blut des herrn geschicht. Solchs
sol den leuten vleissig fürgehalten werden, diese
sünde zu vermeiden, sie zu forcht, buss und
besserung zu reizen. Darümb sollen auch die
nicht zum sacrament gelassen werden, so in offent-
lichen sünden, ehebruch, füllerei, und dergleichen
ligen, und davon nicht ablassen.
Zum andern, sol niemand zu dem sacrament
gelassen werden, er sei denn vorhin bei dem pfar-
herr gewesen, der sol hören, ob er vom sacrament
recht unterrichtet sei, ob er auch sonst rats be-
dürfe etc. :).
Darnach sol man leren, das die allein wo]
geschickt zum sacrament sind, die rechte reu und
3) Hier hat die Ausgabe von 1538 folgenden
Zusatz: „oder sei eine solche person, die man sihet
und weis, das sie alles wol berichtet sei. Denn ob
der pfarherr selbs oder prediger, so teglich damit
umbgehen, on beicht oder verhöre, zum sacrament
gehen wil, sol im hiemit nichts verboten sein. Des
gleichen ist auch von andern verstendigen personen,
so sich selbs wol berichten wissen oder zu sagen,
damit nicht wider ein neuer bapstzwang, oder nötige
gewohnheit aus solcher beicht werde, die wir sollen
und mussen frei haben. Und ich Doctor Martin selbs,
etlich mal ungebeichtet hinzu gehe, das ich mir nicht
selbs eine nötige gewonheit mache im gewissen, doch
wiederumb die beichte brauche, und nicht emperen
wil, aller meist umb der absolution (das ist, gottes
worts) willen. Denn das junge und grobe volk mus
man anders ziehen und weisen, weder die verstendigen
und geübten leute.“
Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.
Denn hiemit wird der lere von beider gestalt
nichts abgebrochen, noch dawider geleret, sondern
allein das werk oder brauch solcher lere durch
gedult christlicher liebe eine zeitlang aufgezogen.
Gleich wie Christus viel stücke von seinen aposteln
duldet, die unrecht waren, als da sie die Samariter
mit feur verbrennen wolten, Luce am 9. Item,
da sie umb die öbrikeit zankten, Matthei am 20.
Des selbigen gleichen viel nachlies, das sie zu der
zeit nicht tragen, noch thun kunten, als das sie
noch nicht den heiligen geist hatten und für dem
tod flohen, und sich für den jüden forchten,
Christum zu bekennen, da er tod war. Und noch
heutiges tags gott viel von uns duldet, und in
andern dulden heisst, das doch unrecht oder zu
wenig ist, als schwachen glauben und ander ge-
brechen, zun Rom. am 14. und 15.
Aber weil in dem allen die lere von solchen
stücken dennoch erhalten, und nichts dawider ge-
leret wird, entschuldiget und tregt die liebe alle
solche unvollkomen breuche der lere.
Item, es ist auch unfreundlich, ja unchrist-
lich , solche schwachen zu zwingen zu beider ge-
stalt, oder einerlei zu wegern, denn damit werden
sie zu sundigen gezwungen, nemlich, wenn sie
beider gestalt wider ihre gewissen nemen, so
beichten sie denn hernach und büssen, als für
eine grosse ketzerei, wie wir oft erfaren haben.
Widerümb, achten sie es auch für ketzerei, wenn
sie einerlei gestalt nach irer gewonheit nicht ’
nemen sollen, das also auf beiden seiten ihr
schwacher glaube sich mit grossen sunden, als
ketzerei, wiewol felschlich, beschweret, welchs
viel erger ist, denn das sie der lere von beider
gestalt eine zeitlang nicht vollen gehorsam oder
ubung beweisen, wie S. Paul zun Römern am 14.
spricht, wer sich selbs urteilet, in dem das er
isset, der ist verdampt.
Item, also duldet Paulus die beschneidung und
jüdische speise, dieweil doch daneben frei gieng
die lere von freiheit aller speise, welche freiheit
zu leren und halten auch gottes gebot und ord-
nung war, und dennoch der brauch bei den
schwachen nachbleib, do der lere nichts entgegen
geleret ward.
Zum dritten, wo aber halsstarrige sind, die
es weder lernen noch thun wöllen, da sol man
stracks keine gestalt ihnen reichen, sondern sie
faren lassen, wie S. Paulus Titum zun Galatern
am andern capitel nicht wolt beschneiden lassen,
da die jüden drauf drangen, und die freiheit ver-
dammen wolten. Denn solche halsstarrigen sind
nicht allein unvollkommen im brauch der lere,
sondern sie wollen die lere dazu auch verdampt
und unrecht haben. Da ist nichts zu leiden noch
zu dulden, denn die lere sol stracks und rein
laufen, ob gleich die werk und brauch langsam
hernach kriechen oder schleichen, laufen oder
springen.
Welche aber schwach oder halsstarrige sind,
das mus der pfarherr, der die leute kennet und
teglich mit ihnen umbgehet, merken, und kans
leichtlich dabei mercken, wenn es gutherzige
leute sind, die gerne zur predigt gehen, und gerne
lernen wolten, und sich auch dazu recht stellen.
Die rohen aber und verruchten, so predigen
nicht achten, sollen nimmer mehr für schwachen
gerechnet werden, wie hoch sie auch solchs
fürgeben.
Der dritte artickel, daran auch am aller-
meisten gelegen ist, das man lere, warumb man
sol das sacrament brauchen, und wie man geschickt
sein sol.
Zum ersten sollen die pfarherr die leute
unterrichten, wie grosse sunde es ist, das sacra-
ment unehren, und nicht recht brauchen, denn
Paulus' spricht in der 1. zun Cor. am 11. Sie
sind schüldig am leibe und blut Christi, und
spricht, sie nemens ihnen zur strafe. Item, es sind
auch viel darümb kranck, und viel gestorben unter
den Christen. Denn gott spricht im andern gebot,
Exodi am 20. capi. Wer seinen namen unehret,
wölle er nicht unschüldig halten, on zweifel wird
auch nicht ungestraft bleiben diese unehre, die
dem leibe und blut des herrn geschicht. Solchs
sol den leuten vleissig fürgehalten werden, diese
sünde zu vermeiden, sie zu forcht, buss und
besserung zu reizen. Darümb sollen auch die
nicht zum sacrament gelassen werden, so in offent-
lichen sünden, ehebruch, füllerei, und dergleichen
ligen, und davon nicht ablassen.
Zum andern, sol niemand zu dem sacrament
gelassen werden, er sei denn vorhin bei dem pfar-
herr gewesen, der sol hören, ob er vom sacrament
recht unterrichtet sei, ob er auch sonst rats be-
dürfe etc. :).
Darnach sol man leren, das die allein wo]
geschickt zum sacrament sind, die rechte reu und
3) Hier hat die Ausgabe von 1538 folgenden
Zusatz: „oder sei eine solche person, die man sihet
und weis, das sie alles wol berichtet sei. Denn ob
der pfarherr selbs oder prediger, so teglich damit
umbgehen, on beicht oder verhöre, zum sacrament
gehen wil, sol im hiemit nichts verboten sein. Des
gleichen ist auch von andern verstendigen personen,
so sich selbs wol berichten wissen oder zu sagen,
damit nicht wider ein neuer bapstzwang, oder nötige
gewohnheit aus solcher beicht werde, die wir sollen
und mussen frei haben. Und ich Doctor Martin selbs,
etlich mal ungebeichtet hinzu gehe, das ich mir nicht
selbs eine nötige gewonheit mache im gewissen, doch
wiederumb die beichte brauche, und nicht emperen
wil, aller meist umb der absolution (das ist, gottes
worts) willen. Denn das junge und grobe volk mus
man anders ziehen und weisen, weder die verstendigen
und geübten leute.“