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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0324
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296

Die Kirchenordnungen. Albertinisches Sachsen.

vortrauen lest, und die beschleft, ader vormeinlich
mit ihr ehelich beiliget, der mainung, von der
ersten dardurch ledig zu werden, ein sölcher sol
als ein ehebrecher kegen der erst 1) vortrauten ge-
halten und durch das consistorium zur penitenz
gedrungen, ader in mangel des durch die weltliche
obrikeit, wie sich zu rechte geburt, gestraft werden,
und do sich die erste, mit ihme nit wolt vor-
suhnen, sol ihr erleubt werden, sich mit einer
andern zuvorehelichen; dergleichen 2) sol auch er-
laubt werden der andern und stuprirten, so fern
sie unwissentlich und ahne arg und falsch hirzu
kommen ist; hette sie aber des ersten vorlöbnis
wissenschaft gehapt, und sich daruber mit ihme
in ehegelöbnis und beischlaf eingelassen, so sol
sie durch die obrikeit gepurlich gestraft werden.
Von weglaufen und nicht
beiwonung der eheleut.
Got der herre sprach, last uns dem mensehen
einen gehulfen machen etc. Durch welches wort
die eheleut nicht alleine die leipliche ehepflichte
laisten, sundern auch in allem anderm einander
treulich beistehen, rathen und helfen söllen, also,
das gluck und ungluck gemeine sein, und eins
dem andern alle last tragen helfen sol, darumb
thuen wider got und entzihen ihren ehegemalen
die schuldige hulfe alle die jenigen, die ane alle
redeliche ursache, wann die ochsen am berge
stehen, ader sunst weglaufen, weib und kind, ader
den man mit den kindern im elend und jammer
sitzen lassen, und das ist der einsetzung gottes
und ehelicher pflicht und vorwandtnis gestrack
und eben so wol 3) zuwider, als der leipliche ehe-
bruch, und solchs wirdet auch gemeint von denen,
die einander ehelich undt (und) offentlich vorlobt,
und ihr eins ehe dem ehelichen beilager, ane
redeliche ursache, hinweg leuft, lange zeit aussen-
pleibt, sein vertraut gemahel in die ehepflicht
nicht nimpt, und nimandes weiss wo er sei, und
wirdet durch die treflichst gelerten diser zeit in
der heiligen geschrift darvorgehalten, das die
obrikeit nach erwegung der gelegenheit und ur-
sachen des abwesens und weglaufens, des alters
und schicklikeit der vorlassenen person und
anderer umbstende nicht ane fug und grund deme
heimverlassenen erlauben möge, ein andern ehe-
gemahl zu nehmen, doch auf vorgehende citation
und erforderunge auch fleissige nachforschung, ob
der abtrunnige irgents anzutreffen, und zum ehe-
lichen beiwonen, ader aber zu gepurlicher straf
gebracht möcht werden; dan do das vorlassene, in

1) ersten.
2) desgleichen.
3) soviel.

deme seinen fleiss nicht gethan, solt es mit seiner
bitt nicht gehort werden.
Und nach deme die kaiserlichen rechte hirin
die ursachen des abwesens, wie dann auch in
allewege zuthun recht und gut ist, underscheiden,
wiwol sie auch nach gelegenheit solcher ursachen
deme haim vorlassenen frist 1) und zeit benennen,
so seind doch die felle beide in mannes und
weibes personen, auch das anligen, angst und noth
der haim vorlassenen ungleich, das es schwer ist,
die dinge also gestrag an gewisse zeit zubinden,
und sol dere wegen in ermessigung 2) des richter-
lichen ampts gesetzt werden, in dem falle, do das
eine mutwillig weglaufen, nach gelegenheit der
felle, lengere ader kurzere zeit zuhalten, und
hirinne, so viel immer mögelich und ahne vor-
lezung der gewissen geschehen kann, das heim-
vorlassene zu trösten und aufzuhalten sein, und
do ihe die noth widerumb zu vorheiraten unüber-
windlich, das sölch 3) mit genugsamer erwegung
und rathe beider consistorien, auch obs noth der
gelerten zu Leipzick, und anderer im fursten-
thumb alhier geschee.
Und in allen fellen, do die andere ehe er-
leubt, sol die wirtschaft ane alle offentliche ge-
prenge gehalten werden.
Aber do einer aus ehehaften und erlichen
ursachen abwesend were, als in gefengnissen, in
des reichs ader wider den turken kriegs sachen
und dergleichen, do sal das ehegemal also bleiben
und keinem gestadt werden, sich anderweit zu-
verelichen, es sei dan sache, das gewisse kund-
schaft gebracht werde, das das abwesend todt sei.
Und solten die pfarern zuerinnern sein, das
vorlassene ehegemahl mit allem ernstlichem fleisse
zu trösten und zu sterken, mit den worten
Sanct Pauls, do er spricht, ich sage war den wit-
wen und witfrauen, es ist ihnen gut, das sie auch
bleiben wie ich. Item bist du an weib gebunden,
so suche nicht los zu werden, bistu aber los
vom weibe, so suche kein weib; und hernacher,
ein itzlicher wie ihnen der herre berufen hat, also
wandele er, und durch die wort Christi vom creuz,
das ein ider sein creuz tragen, und ihme nach-
folgen sol, etc, und dergleichen trostpruche.
Diweil aber solch weglaufen diser zeit fast
gemein wird, so sölte nicht ungelegen sein, durch
den landesfursten ein gemein ausschreiben 4) der-
wegen zu thuen, ungeferlich auf dise ader der-
gleichen meinung.
Nachdem der almechtige got, man und weib
geschaffen, zum ehestand, und einander zu gehulfen

1) fest (wohl Schreibfehler).
2) ermessung.
3) solchs.
4) Geschehen unter dem 10. Februar 1545. Vgl.
Nr. 29.
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