Die evangelische Volksbewegung.
Im Advent 1516 hatten Predigten, die Staupitz als Generalvikar der deutschen Augustinereremiten
im Nürnberger Augustineridoster10 gehalten hatte, zur Bildung eines religiösen Männerkreises in die-
sem geführt. Er nannte sich Societas Staupitziana und zählte zu seinen Mitgliedern bekannteste Namen
des geistigen und politischen Lebens Nürnbergs, vor allem den Ratsschreiber Lazarus Spengler11. Stau-
pitz machte diesen Kreis gleich auf seinen hervorragenden Nachfolger in der Professur in Wittenberg,
Martin Luther, aufmerksam. Als im nächsten Frühjahr Wenzeslaus Linck12, der Luther zum Doktor
promoviert hatte, als Provinzialvikar nach Nürnberg kam, war es nicht mehr die Persönlichkeit von
Staupitz, die den Mittelpunkt des Kreises bildete. Er nahm daher den Namen Societas Augustiniana
an. Als aber 1518 Martin Luther auf der Reise nach Augsburg und wieder zurück zweimal kurz in Nürn-
berg weilte, benannte er sich um in Sodalitas Martiniana; schrieb doch Scheurl wohl nicht nur von die-
ser am 2. November dieses Jahres: ,,Omnis ferme sermo de uno Martino. Hunc celebrant, adorant, pro-
pugnant, omnia pro illo subire parati. [Bürgermeister Hier.] Ebner tantus quantus est Martinianus“13.
Lincks Predigten, mehr noch die durch den Bürgermeister Kaspar Nützel, einem Mitglied der So-
dalitas Staupitziana, veranlaßte Übersetzung und Verbreitung von Luthers Ablaßthesen von 1517 erfaß-
ten weiteste Kreise. 1519 gab Willibald Pirckheimer Johann Ecks Persönlichkeit durch seinen Eccius
dedolatus der Lächerlichkeit preis. Lazarus Spengler schrieb eine von tiefem Gewissensernst getragene
,,Schutzrede“ für Martin Luther. Beide kamen dafür durch Johann Eck nicht nur mit Luther auf die
Bannandrohungsbulle von 1520, sondern auch mit ihm wirklich in den Bann. Sie mußten sich auf Be-
treiben ihrer Stadt mit einem durch einen Rechtsvertreter abgelegten glatten Widerruf lösen lassen. In-
zwischen kam Spengler 1521 in Worms auf dem Reichstag mit Luther persönlich in Berührung. Erfand
dabei darüber hinaus noch im Sekretär des Markgrafen von Ansbach, in Georg Vogler, einen Gesinnungs-
freund. Das wurde für beide Gebiete von größter Bedeutung.
Aber auch die äußere Entwicklung ging weiter. Nicht einmal, daß das in Worms beschlossene Reichs-
regiment, das doch auch die Ausführung des Wormser Ediktes überwachen sollte, im November 1521
seinen Sitz in Nürnberg aufschlug und dann die nächsten drei Reichstage in dieser Stadt abgehalten
wurden, konnte das hindern. Daß dieser Umstand, der ja die Hoheit der Reichsstadt stark beeinträch-
tigte, bremsend wirkte, ist freilich doch nicht zu verkennen. Im Jahr 1520 war der Propst von St. Lo-
renz, Georg Behaim gestorben. Nürnberg verlieh die Stelle jetzt einem Schüler Martin Luthers, Hektor
Pömer14. 1m nächsten Jahr resignierte der Propst von St. Sebald, Melchior Pfinzing, weil ihm die evan-
10 Das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vor den Toren der damaligen Stadt Nürnberg gegründete Kloster
der Augustinereremiten wurde 1265 nach einem Brand in die Stadt bei der heutigen Augustinerstraße verlegt.
1479 wurde der Bau einer neuen Kirche begonnen, die ein besonders wertvolles und eigenartiges Kunstwerk der
Spätgotik war. Die Gebäude wurden nach der Übergabe an die Stadt 1525 anderen Zwecken zugeführt. Die Kirche
wurde 1526 für Gottesdienste geschlossen, seit 1615 aber bis ins Ende des 18. Jahrhunderts gelegentlich wieder
gottesdienstlich benützt. 1816 wurde sie völlig abgerissen. Von ihrer Innenausstattung sind einige wertvolle Altäre
an verschiedenen Orten erhalten. (J. Rosenthal, Das Augustinerkloster in Nürnberg, in: MVGN 30 [1931]
1—106. — Th. Kolde, Die deutsche Augustinerkongregation und Joh. v. Staupitz. Gotha 1879. — Clemen, Stau-
pitz, in: RE 18, 781-786. - von Schubert, Spengler 138-146.
11 Geb. 1479 Nürnberg. — 1497 Nürnberg Schreibergehilfe, 1507 Vorderster Ratschreiber, 1516 auch Genannter des
großen Rates — † 1534. - Verfasser zahlreicher Reformationsschriften, auch einiger Lieder. (Haußdorff. —Will,
Gelehrtenlexikon 3, 731-736; 8, 254-258. - Kolde, in: RE 18, 622-625. - Kalkoff. - von Schubert, Speng-
ler. — Pr. Braun, L. Sp. und Hieronymus von Berchnishausen, in: BbKG 22 (1916) 1—27. 49—65. 97—140. —
Schottenloher 20 354-20 372).
12 Geb. Colditz 1482. - 1510 Wittenberg, Prior des Augustinerklosters und Universitätsprofessor, 1517 Nürnberg im
Augustinerkloster, 1520 Nachfolger von Staupitz als Generalvikar, 1523 Altenburg Prediger, 1525 Nürnberg Spital-
prediger — † 1547 (Bendixen, in: RE II, 505—513. — Gußmann 1 II 365f. [Lit.]. — Schottenloher
20 518-20 546).
13 Scheurls Briefbuch 2, 60f. 14 * 1495, † 1541 (Will, Gelehrtenlexikon 3, 205-208; 7, 180-183).
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Im Advent 1516 hatten Predigten, die Staupitz als Generalvikar der deutschen Augustinereremiten
im Nürnberger Augustineridoster10 gehalten hatte, zur Bildung eines religiösen Männerkreises in die-
sem geführt. Er nannte sich Societas Staupitziana und zählte zu seinen Mitgliedern bekannteste Namen
des geistigen und politischen Lebens Nürnbergs, vor allem den Ratsschreiber Lazarus Spengler11. Stau-
pitz machte diesen Kreis gleich auf seinen hervorragenden Nachfolger in der Professur in Wittenberg,
Martin Luther, aufmerksam. Als im nächsten Frühjahr Wenzeslaus Linck12, der Luther zum Doktor
promoviert hatte, als Provinzialvikar nach Nürnberg kam, war es nicht mehr die Persönlichkeit von
Staupitz, die den Mittelpunkt des Kreises bildete. Er nahm daher den Namen Societas Augustiniana
an. Als aber 1518 Martin Luther auf der Reise nach Augsburg und wieder zurück zweimal kurz in Nürn-
berg weilte, benannte er sich um in Sodalitas Martiniana; schrieb doch Scheurl wohl nicht nur von die-
ser am 2. November dieses Jahres: ,,Omnis ferme sermo de uno Martino. Hunc celebrant, adorant, pro-
pugnant, omnia pro illo subire parati. [Bürgermeister Hier.] Ebner tantus quantus est Martinianus“13.
Lincks Predigten, mehr noch die durch den Bürgermeister Kaspar Nützel, einem Mitglied der So-
dalitas Staupitziana, veranlaßte Übersetzung und Verbreitung von Luthers Ablaßthesen von 1517 erfaß-
ten weiteste Kreise. 1519 gab Willibald Pirckheimer Johann Ecks Persönlichkeit durch seinen Eccius
dedolatus der Lächerlichkeit preis. Lazarus Spengler schrieb eine von tiefem Gewissensernst getragene
,,Schutzrede“ für Martin Luther. Beide kamen dafür durch Johann Eck nicht nur mit Luther auf die
Bannandrohungsbulle von 1520, sondern auch mit ihm wirklich in den Bann. Sie mußten sich auf Be-
treiben ihrer Stadt mit einem durch einen Rechtsvertreter abgelegten glatten Widerruf lösen lassen. In-
zwischen kam Spengler 1521 in Worms auf dem Reichstag mit Luther persönlich in Berührung. Erfand
dabei darüber hinaus noch im Sekretär des Markgrafen von Ansbach, in Georg Vogler, einen Gesinnungs-
freund. Das wurde für beide Gebiete von größter Bedeutung.
Aber auch die äußere Entwicklung ging weiter. Nicht einmal, daß das in Worms beschlossene Reichs-
regiment, das doch auch die Ausführung des Wormser Ediktes überwachen sollte, im November 1521
seinen Sitz in Nürnberg aufschlug und dann die nächsten drei Reichstage in dieser Stadt abgehalten
wurden, konnte das hindern. Daß dieser Umstand, der ja die Hoheit der Reichsstadt stark beeinträch-
tigte, bremsend wirkte, ist freilich doch nicht zu verkennen. Im Jahr 1520 war der Propst von St. Lo-
renz, Georg Behaim gestorben. Nürnberg verlieh die Stelle jetzt einem Schüler Martin Luthers, Hektor
Pömer14. 1m nächsten Jahr resignierte der Propst von St. Sebald, Melchior Pfinzing, weil ihm die evan-
10 Das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vor den Toren der damaligen Stadt Nürnberg gegründete Kloster
der Augustinereremiten wurde 1265 nach einem Brand in die Stadt bei der heutigen Augustinerstraße verlegt.
1479 wurde der Bau einer neuen Kirche begonnen, die ein besonders wertvolles und eigenartiges Kunstwerk der
Spätgotik war. Die Gebäude wurden nach der Übergabe an die Stadt 1525 anderen Zwecken zugeführt. Die Kirche
wurde 1526 für Gottesdienste geschlossen, seit 1615 aber bis ins Ende des 18. Jahrhunderts gelegentlich wieder
gottesdienstlich benützt. 1816 wurde sie völlig abgerissen. Von ihrer Innenausstattung sind einige wertvolle Altäre
an verschiedenen Orten erhalten. (J. Rosenthal, Das Augustinerkloster in Nürnberg, in: MVGN 30 [1931]
1—106. — Th. Kolde, Die deutsche Augustinerkongregation und Joh. v. Staupitz. Gotha 1879. — Clemen, Stau-
pitz, in: RE 18, 781-786. - von Schubert, Spengler 138-146.
11 Geb. 1479 Nürnberg. — 1497 Nürnberg Schreibergehilfe, 1507 Vorderster Ratschreiber, 1516 auch Genannter des
großen Rates — † 1534. - Verfasser zahlreicher Reformationsschriften, auch einiger Lieder. (Haußdorff. —Will,
Gelehrtenlexikon 3, 731-736; 8, 254-258. - Kolde, in: RE 18, 622-625. - Kalkoff. - von Schubert, Speng-
ler. — Pr. Braun, L. Sp. und Hieronymus von Berchnishausen, in: BbKG 22 (1916) 1—27. 49—65. 97—140. —
Schottenloher 20 354-20 372).
12 Geb. Colditz 1482. - 1510 Wittenberg, Prior des Augustinerklosters und Universitätsprofessor, 1517 Nürnberg im
Augustinerkloster, 1520 Nachfolger von Staupitz als Generalvikar, 1523 Altenburg Prediger, 1525 Nürnberg Spital-
prediger — † 1547 (Bendixen, in: RE II, 505—513. — Gußmann 1 II 365f. [Lit.]. — Schottenloher
20 518-20 546).
13 Scheurls Briefbuch 2, 60f. 14 * 1495, † 1541 (Will, Gelehrtenlexikon 3, 205-208; 7, 180-183).
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