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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (5. Band): Livland, Estland, Kurland, Mecklenburg, Freie Reichsstadt Lübeck mit Landgebiet und Gemeinschaftsamt Bergedorf, das Herzogthum Lauenburg mit dem Lande Hadeln, Hamburg mit Landgebiet — Leipzig: O.R. Reisland, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.27083#0034
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Livland.

Dorpater Stadtarchivs nur ein einziger Band, das sogenannte Protocollum consulare (jetzt als
Cod. 1 des Dorpater Stadtarchivs bezeichnet). Das ist eine Reinschrift von Rathsprotokollen
aus der Zeit von Mitte März 1547 bis zum 18. Mai 1555, worin die Jahre 1548 und 1549
fehlen, ganz überwiegend von der Hand des Stadtsekretärs Joachim Werneke. Herr Stadt-
archivar J. Christiani in Dorpat hat mir aus diesem Bande Abschriften in liebenswürdigster
Weise zur Verfügung gestellt. Die nachfolgende Darstellung beruht auf dieser Quelle. Eine
ausführliche Darstellung der Dorpater Kirchengeschichte ist hier nicht beabsichtigt.
Um das Gesamtbild sogleich zu formuliren: Man ersieht aus diesen Rathsprotokollen,
dass — wie das auch gar nicht anders anzunehmen war — der Rath die Leitung der Dinge
in die Hand genommen hatte. Nicht allerdings ohne bei jeder irgend wie wichtigeren Mass-
nahme (wenn auch bisweilen recht widerwillig) die zwei Gilden zu hören oder ihre Zu-
stimmung einzuholen. Die Gilden waren auch schon deswegen nicht zu umgehen, weil sie die
erforderlichen finanziellen Mittel aufbringen mussten. Wenn der Rath es formell so darstellt,
als wenn alle wichtigeren Massnahmen vom Rath und der ganzen Gemeinde (gefragt wurden
übrigens nur die beiden Gilden) bewilligt seien, so ist das vielfach nur Schein. Wie der Rath
mit den Gilden umspringt, wird unten noch näher darzustellen sein. Wenn die Gilden für
sich wohl einen Capellan annehmen, so muss ihn doch stets der Rath bestätigen.
Der Einfluss der Geistlichen ist noch geringer. Auch sie werden stets, aber doch
immer nur gutachtlich gehört. Zwar heisst es oft, dass die „drei parten“ einhellig
gewesen seien, das sind Rath, Gilden, Geistliche, aber massgebend ist immer nur das, was
der Rath will.
Im Jahre 1547 oder kurz vorher hatten die Geistlichen unter dem Pastor Marsow eine
„Kirchenamtsordnung“ ausgearbeitet und dem Rathe zur Bestätigung vorgelegt. Dieser hatte sie
aber aus uns nicht bekannten Gründen verweigert. Zur Revanche lehnten die Geistlichen 1547,
als der Rath von ihnen die Einrichtung eines gemeinen Bettages wünschte („worin man den
Vormittag in den Kirchen zu Haufe queme und die litanie sampt anderen christliken bedepsalmen
und geistlichen gebeden sunge“), dies ab; „hat sich (heisst es im Prot. cons.) der Pastor (gemeint
ist der pastor primarius Hermann Marsow) und die Predikanten sich sehr unwillig vormerken
lassen, sintemalen man die übergebene Kirchenamptsordnung nicht hette wollen annemen“.
Das Regiment des Rathes zeigt sich vor allem im Personalwesen.
I. Der Rath stellt die Geistlichen an oder bestätigt die von den Gilden angenommenen.
Die letzteren haben also nur ein Vorschlagsrecht. Der Rath seinerseits fragt die Gilden um
ihre Zustimmung, die sie stets gewähren. In der Sitzung, in der der Rath den Gilden die Er-
öffnung wegen des Bettages machte, hatte er den Gilden auch mitgetheilt, dass es wünschens-
werth wäre, mehr Geistliche anzunehmen, dass aber der Vorsteher des gemeinen Kastens das
Unvermögen des letzteren betont hätte; die beiden Gilden möchten auf Verbesserung des
Kastens bedacht sein. Die Gilden machten Ausflüchte.
Am 23. Oktober 1553 (Prot. consul. Bl. 355a) befragt der Rath die Ältesten der grossen
Gilde, ob sie geneigt seien, Wettermann1) als Geistlichen anzunehmen; sie erklären, wenn er dem
Rathe gefiele, hätten sie nichts einzuwenden. Nachdem das Gutachten der Geistlichen eingeholt,
wurde Wettermann in „aller Gegenwertigkeit“ angenommen und bestätigt, die Vorstände des
gemeinen Kastens sollten wegen der Besoldung mit ihm eins werden.
1) Es ist jener bekannte Pastor Wettermann (vgl. Böthführ, Die Livländer auf auswärtigen Universi-
täten. Riga 1884), der in Wittenberg auf Kosten seiner Vaterstadt Dorpat studirte und im Jahre 1565 die nach
Russland verbannten Bürger nach Moskau begleitete, wo er die bis heute verschollene Bibliothek des Zaren
Iwan Grosnyi kennen lernte, s. Franz Nyenstädts Livländische Chronik; S. 67 u. 68 in Monumenta Livoniae
antiquae. Bd. II.
 
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