Konsistorialordnung um 1616
wohl informiret und dadurch umb soviel do mehr in er-
käntnuß Gottes und seines allein seligmachenden worts
von allen undugenden und gottloß wesen von jugent
auf zu einem christlichen abscheuen und dargegen zu
einem gottseligen wandel ufferzogen und also die christ-
liche kirche in denselben umb soviel do mehr gebauwet
werden müge.
Zu dem end dan auch unsere consistorialn sowohl
fur sich als auch bei unsern beambten durch unsere als
regirenden erzbischoffen und landsfursten befehlige die
anordnung verschaffen laßen sollen, das in allen und
iden unsers erzstifts lands kirchen alle Sontagk fur der
verlesung des evangelii der gemeinde die funf haubt-
stucke nur kurzlich und ohne einige außlegung lang-
sam und verstendiglich, damit ein jedweder dieselben
uff furhergehende ermanung bey sich selbst nachspre-
chen und also begreifen könne, durch den kirchendie-
ner erzehlet, nachmittagk aber oder in der wochen-
predigt ahnstatt der epistolen oder anderer biblischer
texte dieselben verstendiglich, schriftmeßigk und ohn
alles streitige, ohnerbeuliche schulgezenk 13 außgelegt 14,
auch die kindenlehren [!], da sie vorhin abkommen oder
im gebrauch nicht gewesen, wieder angestellet oder von
neuen mit christlicher gedult, sanftmut und mit lei-
dentlichem respects des gemeinen, ohnberichten, son-
derlich des jungen volkleins, angeordnet, auch ohn-
nachleßigk gehalten und dardurch also dem gehör
deßen als des worts Gotts sowohl alte als junge an
ihrem heil und seligkeit mogen erbauet werden.
Darnechst, damit zwischen unsern kirchendienern
in lehren und in kirchengebräuchen, soviel müglich,
eine gleichformikeit gehalten, auch uff derselben fur-
laufende mengele und excesse in lehren und leben, wei-
niger nicht, gebührliche ufacht gehabt und alle not-
wendige mittel zur verbeßerung oder gänzlicher ab-
wendung darkegen in zeiten furgenommen werden, so
sollen unsere consistorialn deßwegen eine kurze ver-
faßung ohnverzuglich zusamentragen, kraft derselben
unsere kirchendiener in beiwesen zweier consistorialn,
eines geistlichen und weltlichen stands, alle quartale
nach umbwechselender ordnung sich bey einem aus
denselben kirchendieneren zusamenverfügen, densel-
ben prediger hören und nach vollendigter predigt sein
13 Zu den theologischen Streitigkeiten innerhalb des
Protestantismus’ und innerhalb des Luthertums um
diese Zeit vgl. A. Tholuck, Der Geist der lutheri-
schen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jh.s.
1852; ders., Vorgeschichte des Rationalismus.
4 Bände. 1853-1862; E.Weber, Der Einfluß der pro-
testantischen Schulphilosophie auf die orthodox-
lutherische Dogmatik. 1908; O. Ritschl, Dogmen-
geschichte des Protestantismus III und IV. 1926 und
1927; H. Leube, Kalvinismus und Luthertum im
Zeitalter der Orthodoxie I. 1928; H. E. Weber,
Reformation, Orthodoxie und Rationalismus I (1.
und seiner kirchen gelegenheit, mengel und anliegen
erkundigen und vernehmen und daruff entweder gegen-
wärtigk mit anordnung oder nach gelegenheit uff ge-
bührliche furgehende relation, unserm consistorio be-
schehen, zu derselben kirchen und commun besten er-
beulich verfahren.
Vor allen dingen aber dahin mit besondern fleiß trach-
ten und hiebei eine wachendes [!] ufsicht haben, das
alle und ide unsere kirchendiener des unerbeulichen
scheltens, lesterens, verdammens und verketzerns
christlichen potentaten und obrigkeiten, derselben leh-
rer und untertanen, zumalen in sachen, deren niemand
durch einhelligen consens und erkantnuß der algemei-
nen christlichen kirchen noch zur zeit uberwunden, dar-
beneben aller sekterischen [I], verhaßeten namen und
personalien, zumal aber deren in den itzigen schweben-
den leidigen streitsachen durch das ergeizige, ergerliche
gezenk der friedheßigern 15 schullerer erfundenen, neuen
und dem heiligen Geist in diesen prophetischen und
apostolischen klaren schriften ohngewohnlichen und
ohnerfindlichen phrasium et locutionum sich allerdings
meßigen und enthalten, das arme, einfältige volk da-
mit nicht verwirren, sondern dagegen in allen ihren
predigten daßelbige unberichtete volk einzigk und
allein uff die fundamenta ihrer sehlen heil und selig-
keit, das ist, in ihren schweren sunden mit dem an-
blick und erinnerung des gesetzes, des zorns und des
gestrengen urteil Gottes, nemblich der ewigen verdam-
nuß, allein uf das heil und erlösung aller welt, nemb-
lich uf Christum Jhesum und deßen volnkommenen
verdienst und abtilgung aller unserer sunde, und da-
nechst uf die schuldige dankbarkeit, christliche liebe
und eines [!] bußfertigen, gottseligen wandel führen und
unterweisen, alle spitzfundige, ohnerbeuliche fragen
nach der lehr des apostels unterlaßen und dagegen
guter, verstandlicher, wohl disponirten, lehrhaften pre-
digten sich befleißigen und aber wieder dieses alles in
einiger ungebuhr einer den andern nicht ubertrage.
Und do demselbigen eigensinnigk zuwieder gehan-
delt wurde, solches durch ernste mittel von uns nach
befundenen dingen abgeschaffet und zeitlich darin re-
mediiret werde. Und damit solche conventus desto
fruchtlicher ins werk gerichtet und bestendiger, auch
und 2. Halbband). 1937/40. II (Der Geist der Ortho-
doxie). 1951; F. Lau, RGG 3 IV, 1719ff. (Lit.).
14 Zu den Katechismuspredigten vgl. Einleitung, oben
S. 15. Bei Rezitierung der Katechismusstücke vor
Verlesung des Evangeliums am Sonntag Anknüp-
fung an mittelalterlichen Brauch? Vgl. unten
S. 431, Anm. 1. Das Mandat vom 13. Dezember 1614
will die Katechismusstücke freilich an die Stelle
„der bei etlichen kirchen noch gebreuchlichen . . .
lateinischen oder andern collecten“ setzen.
15 friedheßig = friedhässig,streitsüchtig; vgl. Grimm,
Deutsches Wörterbuch IV, 1, 1 (1878), 195.
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wohl informiret und dadurch umb soviel do mehr in er-
käntnuß Gottes und seines allein seligmachenden worts
von allen undugenden und gottloß wesen von jugent
auf zu einem christlichen abscheuen und dargegen zu
einem gottseligen wandel ufferzogen und also die christ-
liche kirche in denselben umb soviel do mehr gebauwet
werden müge.
Zu dem end dan auch unsere consistorialn sowohl
fur sich als auch bei unsern beambten durch unsere als
regirenden erzbischoffen und landsfursten befehlige die
anordnung verschaffen laßen sollen, das in allen und
iden unsers erzstifts lands kirchen alle Sontagk fur der
verlesung des evangelii der gemeinde die funf haubt-
stucke nur kurzlich und ohne einige außlegung lang-
sam und verstendiglich, damit ein jedweder dieselben
uff furhergehende ermanung bey sich selbst nachspre-
chen und also begreifen könne, durch den kirchendie-
ner erzehlet, nachmittagk aber oder in der wochen-
predigt ahnstatt der epistolen oder anderer biblischer
texte dieselben verstendiglich, schriftmeßigk und ohn
alles streitige, ohnerbeuliche schulgezenk 13 außgelegt 14,
auch die kindenlehren [!], da sie vorhin abkommen oder
im gebrauch nicht gewesen, wieder angestellet oder von
neuen mit christlicher gedult, sanftmut und mit lei-
dentlichem respects des gemeinen, ohnberichten, son-
derlich des jungen volkleins, angeordnet, auch ohn-
nachleßigk gehalten und dardurch also dem gehör
deßen als des worts Gotts sowohl alte als junge an
ihrem heil und seligkeit mogen erbauet werden.
Darnechst, damit zwischen unsern kirchendienern
in lehren und in kirchengebräuchen, soviel müglich,
eine gleichformikeit gehalten, auch uff derselben fur-
laufende mengele und excesse in lehren und leben, wei-
niger nicht, gebührliche ufacht gehabt und alle not-
wendige mittel zur verbeßerung oder gänzlicher ab-
wendung darkegen in zeiten furgenommen werden, so
sollen unsere consistorialn deßwegen eine kurze ver-
faßung ohnverzuglich zusamentragen, kraft derselben
unsere kirchendiener in beiwesen zweier consistorialn,
eines geistlichen und weltlichen stands, alle quartale
nach umbwechselender ordnung sich bey einem aus
denselben kirchendieneren zusamenverfügen, densel-
ben prediger hören und nach vollendigter predigt sein
13 Zu den theologischen Streitigkeiten innerhalb des
Protestantismus’ und innerhalb des Luthertums um
diese Zeit vgl. A. Tholuck, Der Geist der lutheri-
schen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jh.s.
1852; ders., Vorgeschichte des Rationalismus.
4 Bände. 1853-1862; E.Weber, Der Einfluß der pro-
testantischen Schulphilosophie auf die orthodox-
lutherische Dogmatik. 1908; O. Ritschl, Dogmen-
geschichte des Protestantismus III und IV. 1926 und
1927; H. Leube, Kalvinismus und Luthertum im
Zeitalter der Orthodoxie I. 1928; H. E. Weber,
Reformation, Orthodoxie und Rationalismus I (1.
und seiner kirchen gelegenheit, mengel und anliegen
erkundigen und vernehmen und daruff entweder gegen-
wärtigk mit anordnung oder nach gelegenheit uff ge-
bührliche furgehende relation, unserm consistorio be-
schehen, zu derselben kirchen und commun besten er-
beulich verfahren.
Vor allen dingen aber dahin mit besondern fleiß trach-
ten und hiebei eine wachendes [!] ufsicht haben, das
alle und ide unsere kirchendiener des unerbeulichen
scheltens, lesterens, verdammens und verketzerns
christlichen potentaten und obrigkeiten, derselben leh-
rer und untertanen, zumalen in sachen, deren niemand
durch einhelligen consens und erkantnuß der algemei-
nen christlichen kirchen noch zur zeit uberwunden, dar-
beneben aller sekterischen [I], verhaßeten namen und
personalien, zumal aber deren in den itzigen schweben-
den leidigen streitsachen durch das ergeizige, ergerliche
gezenk der friedheßigern 15 schullerer erfundenen, neuen
und dem heiligen Geist in diesen prophetischen und
apostolischen klaren schriften ohngewohnlichen und
ohnerfindlichen phrasium et locutionum sich allerdings
meßigen und enthalten, das arme, einfältige volk da-
mit nicht verwirren, sondern dagegen in allen ihren
predigten daßelbige unberichtete volk einzigk und
allein uff die fundamenta ihrer sehlen heil und selig-
keit, das ist, in ihren schweren sunden mit dem an-
blick und erinnerung des gesetzes, des zorns und des
gestrengen urteil Gottes, nemblich der ewigen verdam-
nuß, allein uf das heil und erlösung aller welt, nemb-
lich uf Christum Jhesum und deßen volnkommenen
verdienst und abtilgung aller unserer sunde, und da-
nechst uf die schuldige dankbarkeit, christliche liebe
und eines [!] bußfertigen, gottseligen wandel führen und
unterweisen, alle spitzfundige, ohnerbeuliche fragen
nach der lehr des apostels unterlaßen und dagegen
guter, verstandlicher, wohl disponirten, lehrhaften pre-
digten sich befleißigen und aber wieder dieses alles in
einiger ungebuhr einer den andern nicht ubertrage.
Und do demselbigen eigensinnigk zuwieder gehan-
delt wurde, solches durch ernste mittel von uns nach
befundenen dingen abgeschaffet und zeitlich darin re-
mediiret werde. Und damit solche conventus desto
fruchtlicher ins werk gerichtet und bestendiger, auch
und 2. Halbband). 1937/40. II (Der Geist der Ortho-
doxie). 1951; F. Lau, RGG 3 IV, 1719ff. (Lit.).
14 Zu den Katechismuspredigten vgl. Einleitung, oben
S. 15. Bei Rezitierung der Katechismusstücke vor
Verlesung des Evangeliums am Sonntag Anknüp-
fung an mittelalterlichen Brauch? Vgl. unten
S. 431, Anm. 1. Das Mandat vom 13. Dezember 1614
will die Katechismusstücke freilich an die Stelle
„der bei etlichen kirchen noch gebreuchlichen . . .
lateinischen oder andern collecten“ setzen.
15 friedheßig = friedhässig,streitsüchtig; vgl. Grimm,
Deutsches Wörterbuch IV, 1, 1 (1878), 195.
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