Kirchenordnung 1606
und doch nichtsdestoweniger der ordentliche got-
tes[dienst] mit erbaulichen und dem wort Gottes
gemeß christlichen ceremonien umb soviel desto
mehr befürdert werde, so ordnen und wollen wir,
das allewege am Sonnabend, Sontagen und feyer-
tagen, auch wan in der wochen oder sonst gepredi-
get wird, sich alsden der infimus auß des stifts schu-
len bey dem dom 43 mit etlichen knaben dahinver-
fügen und den gesang auf dem chor fein langsam,
deutlich und verständlich verrichten soll.
In den flecken aber und dörpfern unsers stifts, da
keine schulen sein, soll gleichwol zu gewönlicher
zeit zur vesper geleutet, beicht gehöret und die
pfarkinder zur andacht, gebet und christlicher
vorbereytung gegen die heilige zeit vermahnet
werden.
Auch soll sowol in der stadt Verden als auf dem
lande morgens, mittags und abends die bettglocke
geleutet und durch den pfarherrn in der predigt das
volk zum oftern vermahnet werden, das sie alsdan,
wann das leuten und der glockenschlag gehöret
wird, ihr gebet zu Gott dem Herrn umb frieden und
alle andere zeitliche und ewige wolfahrt 44 tun und
auch ihre kinder und gesinde, dasselbige zu tun,
es sey daheim im hause, auf dem felde oder anders-
da der letzte Lehnsträger Vikariengüter in wider-
rechtlicher Weise vermeiert und auf Erbzins aus-
getan hatte (Akten im Stadt-A. Verden: G VIII
2, 1). Die Vikarie Joannis et Thomae, die der
Bischof zu verleihen hatte, hatte zur Zeit der Auf-
stellung des Verdener Verzeichnisses in Quart Ma-
gister Nikolaus Glaser (vgl. oben Anm. 2) inne. Zum
Schicksal der Vikarien nach der Reformation vgl.
außer Pfannkuche, aaO. auch D. Sonne, Gie-
schichte der Domschule I, 15. - Zu den Vikarien der
übrigen Kirchen Verdens vgl. neben den Verdener
Verzeichnissen auch Pratje, aaO. 114ff.; Pfann-
kuche, aaO. 165ff.; H. W. Krumwiede, Die
mittelalterlichen Kirchen- und Altarpatrozinien
Niedersachsens. 1960, 266 ff.
43 Zur 1578 von Bischof Eberhard beim Dom begrün-
deten Lateinschule vgl. Einleitung, oben S. 140, die
Fundationsurkunde in ihrem wesentlichen Inhalt
in unserer KO, unten S. 201 ff. — Die alte Domschule
lag am östlichen Kreuzgang, der mit dem Schlafhaus,
das Bischof Eberhard 1578 für seine erweiterte Schule
umbauen ließ, dem mit dem Dom verbundenen klö-
sterlichen Gebäude angehörte, das noch an die Zeit
des gemeinsamen Lebens der Domherren erinnerte.
Vgl. D. Sonne, Geschichte der Domschule I, 11f.;
Die beiden ersten Jahrhunderte der Dom-Schule,
7f.; H.W. H. Mithoff V, 118f.; H. Nack, Dom,
wo, und das sie sich des nicht schemen sollen, sinte-
mal es ein Gott wolgefelliges und ihnen selbst ein
nützlich werk ist, anhalten und treiben sollen.
Von der messe oder communion.
Wann 45 communicanten fürhanden, die sich zu
der niessung des heiligen abendmals bereytet ha-
ben, so soll, wie billig, die communion gehalten wer-
den. Es soll aber der kirchendiener, der das offi-
cium halten wil, in seinem ornatu ecclesiastico fein
ehrlich und mit grosser andacht für den altar tret-
ten. Der altar soll mit reinlichen tüchern und vor-
hengen bekleidet und gezieret sein. Es sollen auch
auf dem altar liechter brennen, wie bißher allezeit
geschehen. Auch sollen alle ceremonien in officio
missae ehrlich und ordentlich, soviel immer müg-
lich, gehalten werden. Auf die hohe feste soll latei-
nisch, auf die andere Sontag aber zu zeiten latei-
nisch, zu zeiten teudsch gesungen werden 46.
Erstlich, wann der priester oder pfarrer vor den
altar getretten, so soll der chor die antiphen Veni,
sancte Spiritus 47 anfahen. Darnach soll der priester
singen 48: Emitte Spiritum et creabuntur. Der chor
soll antworten:Et renovabis faciemterrae[Psl04.30].
33; Kunstdenkmäler der Provinz Hannover V, 1, 44;
P. Menge, 6.
44 Druckvorlage: walfahrt. — Zum mittelalterlichen
dreimaligen Gebetsläuten und, seiner Beibehaltung
in der Reformationszeit vgl. Sehling VI, 2, 1047,
Anm. 27.
45 Vgl. zu diesem Absatz Lüneburger KO und Wolfen-
büttler KO, Sehling VI, 1, 542 und 142f.
46 In den von J. H. Pratje mitgeteilten Erläuterun-
gen und Verbesserungen zu unserer KO (vgl. Ein-
leitung, oben S. 143 mit Anm. 88) heißt es hierzu:
Die divina im dome sollen mit loben und singen des
Sonntages und am feyertagen nicht mehr lateinisch,
sondern deutsch gehalten werden. Das Wolfenbüttler
Exemplar unserer KO hat als wesentlichere Abwei-
chung statt „loben und singen“ : „lesen und singen“.
47 Vgl. die aus dem 11. Jh. stammende lateinische An-
tiphon „Veni, sancte Spiritus, reple tuorum corda...“
bei Wackernagel I, Nr. 281. - Unsere Liturgie bis
zum Introitus ist eine „praeparatio ad missam“. Im
späteren Mittelalter hatte man aus dem privaten
priesterlichen Vorbereitungsoffizium (Akzeß) manch-
mal eine Hore der Kleriker und gleichsam ein „offi-
cium de Spiritu sancto“ gestaltet (vgl. Missale eccl.
Brem. 1511; J. A. Jungmann, Missarum Sollemnia
I. 1948, 339ff.). An solchen Brauch scheint unsere
KO in gewandelter Form inhaltlich anzuknüpfen.
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und doch nichtsdestoweniger der ordentliche got-
tes[dienst] mit erbaulichen und dem wort Gottes
gemeß christlichen ceremonien umb soviel desto
mehr befürdert werde, so ordnen und wollen wir,
das allewege am Sonnabend, Sontagen und feyer-
tagen, auch wan in der wochen oder sonst gepredi-
get wird, sich alsden der infimus auß des stifts schu-
len bey dem dom 43 mit etlichen knaben dahinver-
fügen und den gesang auf dem chor fein langsam,
deutlich und verständlich verrichten soll.
In den flecken aber und dörpfern unsers stifts, da
keine schulen sein, soll gleichwol zu gewönlicher
zeit zur vesper geleutet, beicht gehöret und die
pfarkinder zur andacht, gebet und christlicher
vorbereytung gegen die heilige zeit vermahnet
werden.
Auch soll sowol in der stadt Verden als auf dem
lande morgens, mittags und abends die bettglocke
geleutet und durch den pfarherrn in der predigt das
volk zum oftern vermahnet werden, das sie alsdan,
wann das leuten und der glockenschlag gehöret
wird, ihr gebet zu Gott dem Herrn umb frieden und
alle andere zeitliche und ewige wolfahrt 44 tun und
auch ihre kinder und gesinde, dasselbige zu tun,
es sey daheim im hause, auf dem felde oder anders-
da der letzte Lehnsträger Vikariengüter in wider-
rechtlicher Weise vermeiert und auf Erbzins aus-
getan hatte (Akten im Stadt-A. Verden: G VIII
2, 1). Die Vikarie Joannis et Thomae, die der
Bischof zu verleihen hatte, hatte zur Zeit der Auf-
stellung des Verdener Verzeichnisses in Quart Ma-
gister Nikolaus Glaser (vgl. oben Anm. 2) inne. Zum
Schicksal der Vikarien nach der Reformation vgl.
außer Pfannkuche, aaO. auch D. Sonne, Gie-
schichte der Domschule I, 15. - Zu den Vikarien der
übrigen Kirchen Verdens vgl. neben den Verdener
Verzeichnissen auch Pratje, aaO. 114ff.; Pfann-
kuche, aaO. 165ff.; H. W. Krumwiede, Die
mittelalterlichen Kirchen- und Altarpatrozinien
Niedersachsens. 1960, 266 ff.
43 Zur 1578 von Bischof Eberhard beim Dom begrün-
deten Lateinschule vgl. Einleitung, oben S. 140, die
Fundationsurkunde in ihrem wesentlichen Inhalt
in unserer KO, unten S. 201 ff. — Die alte Domschule
lag am östlichen Kreuzgang, der mit dem Schlafhaus,
das Bischof Eberhard 1578 für seine erweiterte Schule
umbauen ließ, dem mit dem Dom verbundenen klö-
sterlichen Gebäude angehörte, das noch an die Zeit
des gemeinsamen Lebens der Domherren erinnerte.
Vgl. D. Sonne, Geschichte der Domschule I, 11f.;
Die beiden ersten Jahrhunderte der Dom-Schule,
7f.; H.W. H. Mithoff V, 118f.; H. Nack, Dom,
wo, und das sie sich des nicht schemen sollen, sinte-
mal es ein Gott wolgefelliges und ihnen selbst ein
nützlich werk ist, anhalten und treiben sollen.
Von der messe oder communion.
Wann 45 communicanten fürhanden, die sich zu
der niessung des heiligen abendmals bereytet ha-
ben, so soll, wie billig, die communion gehalten wer-
den. Es soll aber der kirchendiener, der das offi-
cium halten wil, in seinem ornatu ecclesiastico fein
ehrlich und mit grosser andacht für den altar tret-
ten. Der altar soll mit reinlichen tüchern und vor-
hengen bekleidet und gezieret sein. Es sollen auch
auf dem altar liechter brennen, wie bißher allezeit
geschehen. Auch sollen alle ceremonien in officio
missae ehrlich und ordentlich, soviel immer müg-
lich, gehalten werden. Auf die hohe feste soll latei-
nisch, auf die andere Sontag aber zu zeiten latei-
nisch, zu zeiten teudsch gesungen werden 46.
Erstlich, wann der priester oder pfarrer vor den
altar getretten, so soll der chor die antiphen Veni,
sancte Spiritus 47 anfahen. Darnach soll der priester
singen 48: Emitte Spiritum et creabuntur. Der chor
soll antworten:Et renovabis faciemterrae[Psl04.30].
33; Kunstdenkmäler der Provinz Hannover V, 1, 44;
P. Menge, 6.
44 Druckvorlage: walfahrt. — Zum mittelalterlichen
dreimaligen Gebetsläuten und, seiner Beibehaltung
in der Reformationszeit vgl. Sehling VI, 2, 1047,
Anm. 27.
45 Vgl. zu diesem Absatz Lüneburger KO und Wolfen-
büttler KO, Sehling VI, 1, 542 und 142f.
46 In den von J. H. Pratje mitgeteilten Erläuterun-
gen und Verbesserungen zu unserer KO (vgl. Ein-
leitung, oben S. 143 mit Anm. 88) heißt es hierzu:
Die divina im dome sollen mit loben und singen des
Sonntages und am feyertagen nicht mehr lateinisch,
sondern deutsch gehalten werden. Das Wolfenbüttler
Exemplar unserer KO hat als wesentlichere Abwei-
chung statt „loben und singen“ : „lesen und singen“.
47 Vgl. die aus dem 11. Jh. stammende lateinische An-
tiphon „Veni, sancte Spiritus, reple tuorum corda...“
bei Wackernagel I, Nr. 281. - Unsere Liturgie bis
zum Introitus ist eine „praeparatio ad missam“. Im
späteren Mittelalter hatte man aus dem privaten
priesterlichen Vorbereitungsoffizium (Akzeß) manch-
mal eine Hore der Kleriker und gleichsam ein „offi-
cium de Spiritu sancto“ gestaltet (vgl. Missale eccl.
Brem. 1511; J. A. Jungmann, Missarum Sollemnia
I. 1948, 339ff.). An solchen Brauch scheint unsere
KO in gewandelter Form inhaltlich anzuknüpfen.
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