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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0205
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Kirchenordnung 1606

verstand viel mißbrauchs gespüret wird, so wöllen
wir erstlich, das von allen ambten jedes orts sampt
dem pastor und den olderleuten mit rat versten-
diger frauen allenthalben hebammen verordnet
werden sollen, so gottfürchtig, fleissig, treu, tüchtig
sein und bey jederman ein gut gerücht haben; denn
untüchtige, gottlose und verachte personen in sol-
cher zeit und fall viel unglücks stiften und fraues-
personen grossen schaden tun können. Es sollen
auch solche verordente hebammen sich verpflich-
ten, in der not bey den frauen keine abgötterey,
segnerey oder zauberey 54 zu gebrauchen, wie ofter-
mals gespüret, sondern allenthalben alleine bey
Gott durchs christliche gebet hülf zu suchen und
verordente christliche mittel zu gebrauchen, deß-
gleichen auch verpflichtet sein, bey den armen so
fleissig, willig und getreu zu sein als bey den rei-
chen, wie dann billig.

Darnach wöllen wir auch, das die pastores die
frauen und verordente hebammen in der predigt
und auch privatim mit sonderlichem fleiß unter-
richten, wie sie sich in der zeit der not mit der taufe
halten sollen, damit in dem falle nichts geschehe,
das unchristlich oder jemandes ergerlich sey. Es
soll aber in der unterweisung von nachbeschrie-
benen punkten geredet werden:

Erstlich, das sie nicht leichtlich, ohne hochdrin-
gende not zur nottaufe eylen oder greifen sollen,
sondern sich, soviel als müglich und die gelegen-
heit erleiden wil, befleissigen, mit dem fürderlich-
sten das geborne kindlein in die kirchen zu brin-

557ff. Vgl. auch die Oldenburger KO, Bl. Ff III rff.,
die sich in diesem Kapitel wörtlich, ausgenommen
unbedeutende Abweichungen, mit der Wolfenbüttler
KO deckt, aber den zweiten der sich dort anschlie-
ßenden Absätze fortläßt. Vgl. noch das entspre-
chende Kapitel der Hoyaschen KO, Sehling VI, 2,
1159f., mit weiteren Beziehungsnachweisen. Zum
eigentlichen Formular vgl. auch das entsprechende
der Grubenhagener KO, Sehling VI, 2, 1069f.,
ebenfalls mit weiteren Beziehungsnachweisen. -
Grundsätzliches zur Nottaufe in Bugenhagens
Braunschweiger KO von 1528, Sehling VI, 1, 359ff.
Zum Ursprung besonderer Ordnungen für die Be-
stätigung der Nottaufe in der luth. Kirche vgl.
Begleitwort zur Ordnung der Taufe usw., 17 ff. Da-
nach wirkten drei Bedenken Luthers von 1542 (s.
ebd.) anregend.

54 Die Hebammen setzten die Tradition ältester, pri-
mitiver Heilkunst fort, bedienten sich der Bespre-

gen, damit es vor der gemeine offentlich getauft
werden möge.

Zum andern, das sie in zeit der not, da es mit
der geburt schwerlich fellt und auch zu befürch-
ten, das die frucht nicht lebendig zur welt kom-
men möchte, dennoch mit der nottaufe verziehen
sollen, solang biß das kindelein ganz und gar ge-
born und in die hände der menschen gekommen.
Denn soll die ander geburt geschehen und ein
mensch wiederumb neu geboren werden aus dem
wasser und heiligen Geist, so muß die erste geburt
auch vollnkommen sein und der mensch ganz auf
die welt geboren sein. Darumb soll auch in solcher
not kein teyl des leibs getauft werden, sondern
solche leibsfrucht mit einem christlichen und gleu-
bigen gebett Gott befohlen und im namen Christi
gebeten werden, Gott wölle gnade verleyhen, das
solche gegenwertige frucht in ihre hände gegeben
werden und also nach seinem befehl und auf seine
gnadenreiche zusage die heilige taufe empfahen
möge, wo nicht, das dennoch der barmherzige, liebe
Vater sich der lieben frucht in gnaden annemen
wölle umb seines geliebten Sons Jhesu Christi wil-
len. Amen.

Zum dritten, das sie auch, wenn die leibsfrucht
todt zur welt kommen würde, dieselbigen nicht
teufen sollen; denn die taufe nicht für die todten,
sondern für die lebendigen verordnet etc.

Item, das sie in solchem falle die todte frucht
ohne alle disputation auf den kirchoff oder gottes-
acker begraben sollen und die eltern trösten mit

chung, besonderer Segenssprüche, verschiedener
Kräuter, die sie der Gebärenden anbanden oder die
sie abkochten, schlugen mit Kreuzdorn dreimal ein
Kreuz über der Gebärenden, womit die die Geburt
erschwerenden Dämonen abgewendet werden sollten,
benutzten Kreuz, Gesangbuch, Kerze als Schutzmit-
tel gegen Dämonen, wußten auch um weitere, die Ge-
burt angeblich erleichternde Maßnahmen im Haus
(verbreitet war z. B. das Lösen der Schürzen-, Schuh-
und sonstiger Bänder, Aufschließen der Schlösser
usw., andererseits Verstopfen der Türen und Fen-
ster, um Teufel und Dämonen fernzuhalten); vgl.
R. Andree, Braunschweiger Volkskunde 2. 1901,
286; E. Samter, Geburt, Hochzeit und Tod. 1911;
H. Bächtold- Stäubli, Handwörterbuch des deut-
schen Aberglaubens III (1930/31), 412ff. 1587ff. V
(1932/33), 504ff.; R. Beitl, Wörterbuch der deut-
schen Volkskunde 2. 1955 (Kröners Taschenausgabe
Bd. 127), 240ff. 307.

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