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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0237
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Kirchenordnung 1606

gesellen sich auf leichtfertigkeit begeben, in lehr
und leben straffbar und ergerlich befunden oder
sonsten seines dienstes und befohlenen ambtes nicht
fleissig abwarten würde, so sollen unsere visitatores
den oder dieselbige bey vermeidung und verlust des
dienstes,davonabzustehen,vermahnen.Und wouber
das die gütliche vermahnung nicht haften wolte, so
soll ein solcher allerdings, doch mit unserm vorwis-
sen, abgeschaffet und die erledigte stedt mit einer
tüchtigenundqualificirtenpersonenersetzet werden.

Soviel dan die lectiones, so in dieser unser schul
sollen geübet und getrieben werden, anlanget, so
sollen dieselbige von dem rectore auf gutachten
und ratification der visitatorn angestellet werden 4,
damit solche lectiones der jugent nützlich sein und
es in warheit heissen müge, wie jener frommer und
fleissiger schulmeister Epichormus [!] gesagt hat:
Χρησιμα παισίν [!] ειπε 5.

Da auch in solcher visitation, wie auch ausser-
halb derselben, mangel an den schulgebäuden be-
funden würden, so sollen die visitatorn hiemit von
uns befehl und vollmacht haben, dieselbige nötig
zu bessern und zu erstatten.

Zum andern: Dieweil auch etliche knaben mit
worten sich ziehen und weisen lassen, etliche aber
allerdings nicht gehorchen noch folgen wollen, es
kommen dan ruten und wort zusamen, soviel zu
aufnehmung und erhaltung der schul und disciplin
und zu fernerm gedeien der jugent, nicht allein
guter lehr und unterweisung, sondern auch ernst-
hafter zucht und straffe vonnöten sein, derhalben
ordnen und wollen wir, das die praeceptores und
collegae in der schulen bey den halstarrigen dis-
cipulis auch strenge disciplin, ernste und ordent-
liche straffe, doch mit guter bescheidenheit, ge-
brauchen sollen.

4 Der vorige Absatz und dieser bis hierher in enger
Anlehnung an verschiedene Stellen der Fundations-
urkunde.

5 Epicharmus, griechischer dramatischer Dichter, ca.

550-460 v. Chr.; Fragmente seiner Dichtung bei
G. Kaibel, Comicorum Graecorum Fragmenta I,
1.1899, 88-147; vgl. auch H. Diels-W. Kranz,

Fragmente der Vorsokratiker I 6. 1951, 190-210. Im

übrigen vgl. zu E.: Pauly-Wissowa, Real-Ency-
clopädie der classischen Altertumswissenschaft VI
(1909), 34ff. - Das Zitat unseres Textes: Theokrit
(griechischer Dichter um 300 v. Chr.), Epigr. 18 (17),

Und sollen sich für allen dingen befleissigen, das
sie mehr mit worten dann andere plagosi Orbilii 6 mit
vielen schlägen und streichen bey den knaben auß-
richten mügen und, welches sehr viel zur sachen
tut, mit ihrer teglichen und stätten gegenwart die
jugent und ihre discipulos bey furcht und in der
disciplin erhalten und also, wie alle rechte schul-
meister, ohne gefaste morositet, vera et placida
cum gravitate in der tat beweisen: Verba mea verba
regis. Den wer alleine mit schelten und schlegen die
knaben in ordnung bringen und zu erhalten ge-
denkt, der gibt selten oder langsam einen guten
schulmeister und tut ihm selbst und den discipulis
den gar grösten schaden 7.

Zum dritten: Dieweil auch befindlich, das etliche
eltern der uberaus bösen unart und der verkehrten
natur sein, das sie entweder gar nicht oder doch
ganz ungerne leiden und gedulden können, das ihre
kinder, auch gebürlich und wolmeinenderweise,
mit der ruten gezüchtiget werden, daher es sich
öfters begibt, das solche unbescheidene eltern,
wenn ihnen von ihren ungezogenen kindern klag
fürkombt, sich unterstehen, ihres gefallens die
schulgesellen darüber zur rede zu setzen, dürfen
sie auch wol feindselig, mit gewehrter hand uber-
fallen, drauen vielmals auch, dieselbige zu belei-
digen und zu beschädigen, sollen demnach, diesem
allen fürzukommen und unglück zu verhüten, die
visitatores daran sein und uber den schuldienern hal-
ten, das sieinihrempulvere scholastico, müheseligen
und schweren ambte nicht mit ungestümb uberlau-
fen und noch viel weniger mit drau- und schelt worten
feindselig molestiret und beschweret werden 8.

Wofern aber jemand auß bericht seiner kinder
sich zu beschweren und zu beklagen hette, das die-
selbige unzimlicherweise und uber die gebür ge-

auf die Bildsäule des E. im Theater zu Syrakus; vgl.
Kaibel, aaO. 89; Diels-Kranz, aaO. 192.

6 Orbilius Pupillus, seit 63 v. Chr. Lehrer in Rom, als
„Orbilius plagosus“ bes. aus Horatius, Ep. II, 1, 70
bekannt; vgl. Pauly-Wissowa, aaO. XVIII, 1, 1
(1939), 876f.

7 Der Absatz in Anlehnung an die Oldenburger KO,
Bl. L1 IIIv, und Hoyasche KO, Sehling VI, 2,
1179f.

8 Der Absatz wesentlich entsprechend der Fundations-
urkunde.

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