Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0266
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
kanerlektor Patroklus Römeling 9 und der Franziskanerlektor Gerhard. Sogar im Domini-
kanerkloster fand die evangelische Lehre einen Vertreter in dem Lektor Ludolph von Horsten 10. Diese
Prediger ließen den katholischen Gottesdienst jedoch unangetastet und konnten darum wirken, ohne vom
Bischof, vom Domkapitel oder auch vom Rat gehindert zu werden 11. Möglicherweise bereitete diese ge-
mäßigte evangelische Predigt jedoch mit den Boden für eine bald deutlich werdende verstärkte Oppo-
sition der städtischen Bevölkerung gegen den katholischen Klerus, die in der Woche vor Pfingsten 1525
in einem Aufruhr unter Führung des Johannes von Oberg ihren Höhepunkt erreichte. Die Aufrührer
faßten ihre hauptsächlich gegen die Geistlichkeit gerichteten Anklagepunkte in einer Beschwerdeschrift 12
zusammen, die sie dem Rat und den Gildemeistern vorlegten. Sie forderten darin u. a., daß die Stadt-
vertreter Siegel und Briefe der Klöster an sich nehmen, die Klosterinsassen zwar versorgen, aber die
Uberschüsse für die Armen verwenden sollten. Für Neuaufnahmen sollten die Klöster gesperrt werden,
Abzug und Austritt den Insassen freistehen. Auch verlangten sie ein Verbot testamentarischer Vermächt-
nisse an die Geistlichen und der Stiftung von Memorien wie die Aufhebung der bestehenden Bruder-
schaften und Memorien. An der Einsetzung eines Kaplans durch den Pastor wünschten sie die Kirch-
spielsleute künftig beteiligt zu sehen; von den Predigern forderten sie die Predigt des „lauteren, klaren
evangeliums“ ohne menschlichen Zusatz oder Abstrich. - Der Obergsche Aufstand und die Beschwerde-
artikel waren jedoch keine Einzelerscheinung, sondern hatten ihre Parallele bzw. ihr Vorbild in anderen
Städten, insbesondere im benachbarten Münster, waren auch hier wie dort lange durch soziale Span-
nungen vorbereitet und verbanden revolutionäre mit reformatorischen Gedanken 13. Die Stadthäupter und
Gildemeister erkannten offenbar die Gefahr der drohenden Zerstörung aller Ordnung und stellten als Er-
gebnis einer Versammlung auf dem Rathaus neue, gemäßigte Beschwerdeartikel 14 auf, in denen sie u. a.
aber als ein Novum gegenüber den ersten Gravamina eine Minderung der Zahl der kirchlichen Feier-
tage forderten. Den Anklagepunkt der ersten Gravamina, in dem die Predigt des lauteren Evangeliums
verlangt wurde, wandelten sie ab, indem sie hinzufügten, daß solche Predigt nach Auslegung bewährter
Doktoren und Maßgabe päpstlicher und kaiserlicher Mandate zu halten sei. - Noch eine geraume Zeit
war die Gefahr des Aufruhrs, das böse Beispiel und die gefährliche Nähe Münsters der Durchführung
der Reformation in Osnabrück hinderlich.

Die gemäßigten evangelischen Prediger, deren Tätigkeit mit Recht nicht als eigentliche Ursache des
Obergschen Aufruhrs angesehen wurde, durften auch jetzt noch ungestört weiter wirken; ihnen schlossen
sich noch die Kaplane an St. Katharinen Johannes Hüdepoll und Wilhelm Sandfurt 15 an 16. 1526 kam

9 Patroklus Römeling wurde später der Reformator der Grafschaft Diepholz; vgl. Sehling VI, 2, 1125f. 1204 mit
Anm. 7; auch J. H. Schüren, 149f.

10 Vgl. die Aufzählung der ersten evangelischen Prediger Osnabrücks bei H. Hamelmann, 1126f.; D. Chytraeus,
355; Th. Röling, 8ff.; J.H. Schüren, 146ff.; H. Hoyer, 126, Anm. 1; L. Hoffmeyer, Chronik I, 65f.

11 Vgl. H. Hoyer, 125ff.

12 Die Beschwerdeartikel im Staats.A. Osn.: Dep. 3b IV Fach 43 Nr. 2, Stück 2 (Kopie); abgedruckt bei W. Ber-
ning, 301ff. — Zu den Vorgängen in der Woche vor Pfingsten 1525 vgl. auch Marienstetter Acten, 167f'.

13 Zum Vergleich mit den Verhältnissen in Münster: J. Niesert, Beiträge zu einem Münsterischen Urkundenbuche
I, 1. 1823, 116ff. (die Münsterschen Artikel von 1525).Vgl. dazu K. Kaser, Politische und soziale Bewegungen
im deutschen Bürgertum zu Beginn des 16.Jh.s. 1899, bes. 186ff.; A. Störmann, Die städtischen Gravamina
gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit = Reformationsgeschichtliche Studien
und Texte, Heft 24—26. 1916; auch W. Köhler, RE 3 13, 539ff.; H. Rothert, Westfälische Geschichte II. 1950,
14ff. Zur ähnlich gelagerten Volksbewegung in Minden im Jahr 1521 s.M. Krieg, Die Einführung der Refor-
mation in Minden, in: Jb des Vereins für Westfälische Kirchengeschichte 43 (1950), 39.

14 Diese Beschwerdeartikel befinden sich ebenfalls im Staats-A. Osn.: Dep. 3b IV Fach 43 Nr. 2, Stück 1 (Kopie);
sie sind abgedruckt in den Osnabrüggeschen Unterhaltungen, 27ff.Vgl. dazuC. Stüve, Hochstift II, 32; H.Hoyer,
129ff. — Stüve und Hoyer datieren die Artikel irrtümlich auf Herbst 1524. Der Irrtum ist von W. Berning,
205f., korrigiert.

15 Wilhelm Sandfurt aus Brogel bei Antwerpen, gebildet in der Schule zu Münster.Weiteres über ihn im Verlaufe
dieser Einleitung; eine Zusammenfassung seiner Lebensdaten unten S. 254, Anm. 75.

16 Vgl.D. Chytraeus, 355; Th. Röling, 9; H. Hoyer, 134, Anm. 3.

234
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften