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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0353
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raner lassen auch selbst durchblicken, daß im Rahmen der lutherischen Gottesdienstordnung andere
Lehren vorgetragen werden bzw. bei formaler Beibehaltung der „Lüneburger KO“ nach außen doch
Änderungen angebracht werden konnten, wenn es heißt, der erste Superintendent des Landes, a Lasco,
habe angefangen, die Lüneburger KO zu glossieren 85. Daß a Lasco solches z. T. gelang, deutet auf eine
entsprechende Bereitschaft der Mitarbeiter und der Gemeinde. A Lasco ist jedoch nicht der erste Geist-
liche Ostfrieslands gewesen, der die Vorschriften der KO von 1535 beiseite schob; auf die Gottesdienst-
form des Aquilomontanus in Borssum wird noch näher einzugehen sein.

Am Ende des Jahrhunderts war die Agende von 1535 bei den Reformierten so gänzlich in Vergessen-
heit geraten, daß sie - freilich waren die Wortführer nicht einheimisch - ihre Existenz bezweifelten 80.
Eigentümlicherweise waren aber auch die zu dieser Zeit in den lutherischen Gemeinden gebräuchlichen
liturgischen Formulare von denen der KO von 1535 sehr verschieden.

Gleichwohl hat die Behauptung der Lutheraner, a Lasco sei „auf dieselbe lünenburgische kirchen-
ordnung zu einem superintendenten angenommen“ und habe „mit besonderer reverenz vor dem altar
kniehende“ das Sakrament gebraucht 87, die größte Wahrscheinlichkeit für sich 87a, ist doch die Poli-
zeiordnung der Gräfin Anna zur Zeit seiner Superintendentur entstanden. Auch hat die KO von 1535
im Gottesdienst der reformierten Gemeinde in Emden bis auf den heutigen Tag Spuren hinterlassen,
wie im einzelnen in den Anmerkungen zu den KOO zu zeigen sein wird.

Das Superintendentenamt, wie von der KO von 1529, so auch im Mandat von 1535 vorgesehen,
blieb vorläufig unbesetzt; denn Johann Hornemann, der zeitweise Aufgaben eines Superintendenten über-
nahm, kann wohl kaum als eigentlicher Superintendent angesehen werden. Gern hätte Enno Antonius
Corvinus 88 zum Superintendenten gewonnen; doch zerschlug sich der Plan 89. Möglicherweise war ein
von Luther entsandter Geistlicher, Johann de Brune von Gent, sowohl nach Erlaß der ersten als auch
der zweiten KO für das Superintendentenamt in Aussicht genommen. Er soll 1530 zuerst nach Emden
gekommen sein 90. Danach wirkte er jedoch als Superintendent in Soest 91. Nach Erlaß der zweiten KO
übernahm er ein Predigeramt in Emden, wo er 1538 starb 92.

85 Vgl. Gegenbericht, B III (H. Garrelts, 110). Zu a Lasco s. unten Anm. 93.

86 Vgl. Bericht, 22ff. 96ff. 120ff. (der Zweifel beschränkt sich doch nicht nur auf die Existenz einer gedruckten
Ordnung, sondern ist allgemeiner Art); E. Meiners I, 141f. 160. 178.

87 Vgl. Gegenbericht, B III (H. Garrelts, 109f.). Die Reformierten bestritten, daß a Lasco auf die Lüneburger
KO angenommen sei, indem sie u. a. auf a Lascos Brief an die Gräfin vom 8. August 1543 (A. Kuyper II, 558ff.;
vgl. dazu unten S. 324 mit Anm. 10.) hinwiesen, mit dem a Lasco die Gräifin unter Berufung auf das Wort Got-
tes zur Abstellung kirchlicher Mißstände aufforderte. Sie folgerten daraus, a Lasco sei auf Gottes Wort, nicht auf
die KO angenommen. Vgl. Bericht, 137f.: ...datsülve wedderumme in rechte ordnunge to bringen, wat vorhen
(nömlick dorch de Lüneborgischen) unordentlicker, vorkerder wyse gehandelt was...

87 a Vgl. auch Kruske, 53. 88 Zu Corvinus vgl. oben S. 226, Anm. 55.

89 In einem Brief vom 20. November 1534 erbaten die ostfriesischen Grafen Enno und Johann vom Landgrafen
Philipp von Hessen Corvinus als Superintendenten; vgl. H. Reimers, Gestaltung, 47, Anm. 1. Vgl. auch den
Brief Ernsts von Lüneburg an die ostfriesischen Grafen vom 15. 1. 1535, in: JbE 7, 2 (1887), 107.

90 Am 22. Mai 1530 schrieb Melanchthon an Luther: De Frisiis iussit princeps D. Pomeranum istic Saxonicae linguae
peritum hominem idoneum quaerere et mittere ad Frisios. In hanc sententiam potes respondere (WA Briefe V, 336).
Nach H. Hamelmann, 828, wandte sich der Graf direkt an Luther mit der Bitte um einen gelehrten Theologen,
worauf de Brune nach Emden gekommen sei (die Datierung ist bei Hamelmann nicht maßgeblich; es han-
delt sich jedoch deutlich um die Zeit des Einführungsversuches der KO von 1529). Im Gegenbericht, A VI (H. Gar-
relts, 103) heißt es: Und hat der wolgeborne graff h. Enno... an dem churfürsten zu Sachsen etc. und gen Witten-
berg umb einen guten theologum geschrieben, und ist darauf von Luthero gesandt ein besonder gottseliger man,
h. Johannes Bruno, dem auch die prediger der zeit zu Bremen mit vermanung und rat tröstlich gewesen... — Die
Sendung de Brunes gehört auch hier deutlich in einen Zusammenhang mit dem Wirken der Bremer Prädikan-
ten. Im Bericht, 110f., wird bemängelt, daß im Gegenbericht kein genauer Zeitpunkt für de Brunes Ankunft in
Ostfriesland angegeben ist; E. Meiners I, 206, bestreitet de Brunes Berufung um diese Zeit. Vgl. dazu auch
C.A. Cornelius, 36 mit Anm. 5; 38 mit Anm. 3; E. Kochs III, 66 mit Anm. 2; 89, Anm. 4; J.Weerda I, 24.

91 Vgl. C. A. Cornelius, 43, Anm. 5.

92 Vgl. die Grabschrift im Gegenbericht, A VII (H. Garrelts, 103); auch E. Meiners I, 207.

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21 Sehling, Niedersachsen II/l
 
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