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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0779
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Kirchenordnung 1573/74

noch vollenzogen wurdet, rechenschaft tun, auch
doran zu vermeidung unser ungnadiger straffe sein
sollen, daß kein land, so zu der kirchen gehöret,
alieniret, underschlagen noch zu jemands besten
gebrauchet und nit dovon der kirchen die gebuhr er-
lecht werde. So sollen auch die kirchschworne keine
rente auß der kirchen guttern oder von christl[ichen]
guttherzigen leuten dobey geschenket und auf pen-
sion und wedderloße belecht, nit muegen laßen ab-
lösen, daß geschehe dan mit unsern oder an unser
statt durch mitvorwißen unser beambte, und daß
solche heuptsumma wiederumb uff jehrliche [rente?]
wiederumb angelegt werden.

Der XXIV. art.

Von versorgung

der hauß- und gasthausesarmen.

Sectio prima.

Nachdeme in unser stadt Esenß und Wittmundt
ein armenhauß angestiftet 54 und wir derowegen
eine verordnung machen laßen, darnach derselben
vorstendere sich richten und verhalten, auch welcher
gestalt dorgegen sich die armen hinwiederumb in
den fruchten des allmechtigen, christlichen erbar-
heit und andern guten disciplinen richten sollen, alß
wollen wir, daß derselben ihre vorstendere sich sol-
cher unser verordnung durchauß gemeß zu vermei-
dung unser ungnade erzeigen und unß anderß nichtß
furkommen laßen. Es sollen auch in gemelte armen-

54 Über das Armenhaus in Esensberichtet B. Arend, 83:
Nebenst kirche und schule ist auch alhier ein wohl-
versehenes armenhaus [seit wann?], welches nicht
alleine unterschiedliche seiner eigenen stadtarmen
gänzlich erhält, sondern es teilet auch allen dorf-
armen der herrlichkeit Esens gewisses brodgeld und
jährlich etwas armenlaken ganz rühmlich mit. Zu
geschweigen, daß auch im gasthause viele gebrech-
liche notleidende personen ernähret, gekleidet und
unterhalten werden. - H. Reimers in: Friesen-Al-
manach 1922, 19, teilt aus einer Entschließung des
Grafen Erich von 1571 mit, daß eine Geldsumme,
die man einem zu Esens hingerichteten Seeräuber
abgenommen und vorläufig für die Gasthausarmen
deponiert hatte, den Armenvorstehern ausgehändigt
und zugunsten der Armen auf Rechnung gelegt wer-
den sollte. — Das Armenhaus in Wittmund wurde
1616 neu erbaut; vgl. Arend, 156; auch O. G.
Houtrouw II, 384; Th. Cöster, 24. Zu beiden
Armenhäusern F. Arends, aaO. 451. 498.

heusere keine beruchtige personen oder die das ihre
unnutze vorschwendet haben, sondern de sonsten
in armoht geraten und fromme, alte burgere und
untertanen gewesen, mit unser oder unser beambten
bewilligung genohmen werden, jedoch in solcher
anzahl, daß sie ihren zimblichen unterhalt haben
können. Wir wollen auch, daß deßelben vorstendere
unß oder unsern beambten nach Martini episcopi,
wanner ihn daß angezeiget wird, rechnung tun, auch
keine hauptsummen auf rente beleggen noch ab-
lösen laßen sollen, daß geschehe dan mit unsern oder
unser beambten furwißen und vergunstigung.

Sectio secunda.

Waß dan die haußarmen betrifft, ordnen wir, daß
ein jeder kerspell seine elenden, verlaßen, trostloße,
notturftige haußarmen nach derselben vermuegen
sollen unterhalten und ihnen hulfe und trost erzei-
gen 55, dorzue dan die pastoren und kirchschwaren
fleisig aufsehens haben und die kirchspellßleute er-
pitten und ermahnen sollen, daß sie den armen zu
hulfe kommen und nit trostloß pleiben laßen. Die
landlöpere aber, de man Tartaren 56 nennet, und
knechte, so auf das garden laufen 57 und den leuten
uberlästig sein, auch nicht anders zu achten und zu
halten alß mutwillige betteler, die ihre kost nit ver-
dienen und arbeiten wollen, sambt allen andern
bettelern und landstreichern sollen in unserm lande
und gebiete nit gehauset, geherberget noch geleden,
auch von unsern untertanen und verwandten, bey

55 Die Reichspolizeiordnung von 1548 gebietet in Tit.
XXVI, § 1 (Koch-Senckenberg, aaO. 601), die
jeweilige Obrigkeit solle dafür sorgen, „das eine jede
stadt und commun ihre armen selbst ernehre und
unterhalte und den frembden nicht gestatte, an ei-
nem jeglichen ort im reich zu betteln...Vgl. dazu
oben S. 22. 21 f., Anm. 26.

56 = Zigeuner; vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 11,
1, 1 (1935), 158 f. Gegen die Zigeuner wendet sich die
Reichspolizeiordnung von 1548 in Tit. XXVII (aaO.
602). Vgl. dazu Sehling VI, 2, 1201 mit Anm. 43.

57 = Landsknechte, die auf der „gart“ umziehen, d.h.
auf Betteln aus sind; vgl. Sehling VI, 2, 1202 mit
Anm. 44. Dazu Reichspolizeiordnung von 1548, Tit.
VII (aaO. 591 f.): „Von den herrnlosen knechten, so
sich unterstehen zu versammlen und die armen
leute zu beschweren“. Herrenloses Kriegsvolk soll
zerstreut und außer Landes gebracht, die Anführer
bestraft werden.

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