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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0165
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Kirchenzuchtordnung 1543

es sollen die amptleut und amptknecht den dritten
teil und der gottskast das uberig darvon haben. Wo
er es zum dritten mal tun würde, soll man ihnen
drei nacht in torn setzen. Würde er es zum vierten
mal tun, soll man ihnen der statt, fleckens oder dorfs
verweisen. Würde aber ers zum fünften mal tun,
soll man ihnen unsers ganzen lands verweisen. Der-
gleichen soll es auch gegen den weibspersonen, so
fluchen und Gott lestern, gehalten werden. Und
welcher solch schweren und gottslestern höret oder
vernimpt, der soll von stund an dasselbig der obrig-
keit, als unsern amptleuten, amptknechten, rent-
meistern, kellern, schultheißen,burgermeistern etc.,
anzeigen. Würde aber einer befunden, der solchs
verschweigen würde, der soll, so oft er solchs ver-
schweiget, umb einen gülden gestraft werden. Und
man soll auch an allen ungebotten dingen6 oder
gerichten rügen7, wer obberürter gestalt geflucht
oder Gott gelestert hette. An welchen orten man
aber kein rügigs gericht oder ungebottene dinge
haltet, da sollen unsere beampten alle monat ein-
mal nach solchem fluchen und gottslesterungen
ernstliche erforschunge tun und derowegen unsere
undertanen zusammen erfordern, die ubertretter
(wie gehört) alsdann straffen. Welchen man aber
uf der tat des gottlesterens oder fluchens befünde,
den soll man alsbald (wie gehört) straffen. Und ob
einer solch gottlestern gehort hette und in solcher
inquisition nit anzeigt, der soll, so oft ers ver-
schweigt, ein gulden zu buß geben.
Und nachdem man auch befindet, daß die jungen
knaben und kinder wol so heftig als die alten schwe-
ren und fluchen, so sollen die eltern ihre kinder
darumb straffen mit allem ernst. Und wo es den

6 Im fränkischen Recht hatten sich zwei Arten des
Ding entwickelt: nehen dem gebotenen Ding, das
nur in dringenden Fällen einberufen wurde, stand
das echte, auch ungebotene Ding als ständige Ein-
richtung. Jeder mündige Freie war dingpflichtig.
Vgl. R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechts-
geschichte 1, 1919, S. 27, 181; auch H. Brunner,
Deutsche Rechtsgeschichte 2, 2. Aufl. bearb. v. C1.
Freiherr von Schwerin, 1928, S. 294.
7 Das außerordentliche Gerichtsverfahren des Rüge-
gerichts mit der Form der Inquisition hat sich in der
karolingischen Zeit herausgebildet. Der Richter fragt
die Rügegeschworenen, ob und von wem bestimmte
Verbrechen innerhalb ihres Bezirks begangen wor-

eltern angezeigt würde und sie straften die kinder
nit hertiglich darumb, so sollen die eltern an statt
der kinder, wie obberürte fünf puncten lauten, so
oft solch farlessigkeit gespürt würde, gestraft wer-
den.
Und ob ein oder mehr weibs- oder mansperson
die bestimpten gelt peen nit wol zu bezalen hette,
so soll man die allewege gegen der geltstraff ein drei
tag und nacht in torn legen, wasser und brot essen
lassen.
[2] Vom vollsaufen8.
Nachdem man auch leider vor augen siehet, daß
die schentliche sünde und groß laster des volsau-
fens so gar hat uberhand genommen, auch man täg-
lichs mit sünde, schande und schaden befindet, was
böses und arges daraus volgt, als nemlich daß die,
so sich sonst wol miteinander vertragen, uneinig
werden, einander schlagen und ermorden,
item, daß viel, so sonst (natürlich davon zu reden)
wol lang leben möchten, ihnen durch das volsaufen
ihre leib und leben abkürzen; wir wöllen alhie ge-
schweigen der großen unzucht, so begangen wirdet,
indem daß man sich so schendlich bricht und die
gottsgab so unsauber verschwindet und durch-
bringt;
item, daß mancher, so mit weisheit und vernunft
wol begabt, durch das lesterlich volsaufen in ver-
lierung seiner gesundheit und guter gedechtnus und
letzlich wol zu ganzer zerreutung des kopfs geratet.
Desgleichen findet man manchen man, der wol
schweigen kan, dem auch geheim und wichtige
sachen zu vertrauen sein, aber wan derselbig voll
den seien. Die Rüge galt als Klage und nötigte den
Gerügten zur Reinigung oder zur Duldung der Strafe,
vgl. Cl. Freiherr v. Schwerin, Germanische Rechts-
geschichte, 2. Aufl. 1943, 220; und ders., Grund-
züge der deutschen Rechtsgeschichte, 4. Aufl. 1950,
101. 217. 222 f. Die Rügegerichte waren Unter-
gerichte mit beschränkter Strafgewalt. Vgl. auch
J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch 8, 1893,
1410 f.
8 Verordnungen gegen das Betrinken: Reformations-
ordnung von 1526, Abschn. 1. 6. 9 (S. 38f.); Visita-
tionsordnung von 1537, Abschn. 4. 8. 13 (S. 84f.);
vgl. auch die Ziegenhainer Zuchtordnung Abschn. 4
(S. 107).

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