Marburger Kirchenordnung 1557
Nusquam est, qui ubique est8, et nemo potest
duobus dominis servire [Mt 6, 24].
[3] Damit auch die pastores desta besser studie-
ren, bucher zeugen mögen und ihren kindern das
tegliche brod zue geben haben, hospitales sein kön-
nen, so hat unser g. f. und Herr die absent9 ab-
geschafft; und etzliche geschlecht vom adel aus
christlichem, adelischem bedenken selbst willig
nachgelassen und zue einem gar löblichen exempel
der ritterschaft nicht mehr heben und haben wol-
len.
Es sollen alle, so in pastoreien gehören und in
den filialkirchen wohnen oder capellen bei sich ha-
ben, alle festa Christi, unsers lieben Herren, und
alle sontag und bettage in ihre heuptpfarren kom-
men, sich ihrer pastorn selbs leren lassen und den-
selbigen sich zu erkennen geben.
So aber weren alte, junge oder schwachen, so die
heuptpfarren zue besuchen nit vermochten, die sol-
len durch den pastor oder seinen coadjutorem die
wochen uf einen gewissen tag mit Gottes wort
unterwiesen und getrostet werden.
[4] Es sollen auch alle fest Christi, alle sontage
und andere, wie in uberschickter agenda10 von
unserm g. f. und Herren vermeldet wurd, zuegleich
in allen kirchen gehalten werden.
Dieweil aber die feier vom ersten ingesetzt wor-
den sein, daß der gemein mann der herrlichen wol-
taten Gottes oft erinnert werde und die herzen,
Gott zu preisen, angezundet, ist von noten, das die
obrikeit aus craft ihres von Gott bepholenen ampts
8 Seneca, Ad Lucilium Epistularum moralium quae
supersunt, ep. II, 2; ed. O. Hense, Bibl. Teubne-
riana, Seneca III, 1914 S. 3.
9 Vgl. die Kirchendienerordnung 1537, Abschn. 6,
S. 96.
10 Gemeint ist wohl die Kirchenordnunge zum anfang,
für die pfarherrn in herzog Heinrichs zu Sachsen
u. g. h. fürstentum (1539) in ihrer Fassung von 1540
(mit dem Titel Agenda das ist kirchenordnung für
die diener der kirchen in herzog Heinrichen zu Sach-
sen fürstentum gestellet, Sehling I, 264ff.; vgl.
auch I, 89). Sie war vom Landgrafen an alle Gemein-
den geschickt worden (vgl. das Schreiben der Diener
der Kirchen der Niedergrafschaft Katzenelnbogen an
den Landgrafen vom 22. Juni 1563, Quellen III,
906) und war auch in Marburg in Gebrauch (vgl. den
Bericht Adam Kraffts vom 11. Okt. 1548, Quellen
III, 657 B, S. 89).
alle, so christen sein wollen, zum wort Gottes und
der feir nicht zue misbrauchen, anhalten11.
Vor allen dingen sollen sich die amptknecht
enthalten, von den amptsverwandten frondienst zu
fordern oder tage anzusetzen, vertrege zue machen
zue der zeit, wann man Gottes wort leret und feir
halten will.
Viel weniger sollen sie in ihren heusern, wie sie
pflegen ein weinsaufens anrichten, das volkvom
wort abzuehalten.
Die feirtage, so man halten soll, auch wie man
sie halten soll, findet man in der agenda12. Und
sollen alle sontage und fest Christi zwo predigt ge-
scheen der gemein, das sie nicht durch mussigang
ursach gewinnen, das weinhaus, spielhaus oder
kegelbahn13 zue suchen oder ergers zu treiben, wie
leider mehr geschicht uf die feirtage dann werkel-
tage.
[5] Wilcher predicant den catechismum nicht
vleißig treibt14, lehret und ubet, soll nicht gelied-
den, sonder ein anderer an seine staidt geordnet
werden.
Und wilcher hausvatter sich selbst zum catechis-
mo sampt seinem hausgesinde, weibe und kinde
nicht findet und schicket, soll uber die straff der
obrigkeit15 vor keinen christen gehalten werden.
[6] Des Herren nachtmal, dieweil es vom Herren
an keine zeit gebunden, soll es, so oft hungerige
seelen und begirige herzen vorhanden sein, gehalten
und gebraucht werden. Und je ofter des Herren tod
und alle seine woltaten bedacht werden, je besser
11 Schon in seinem Bericht an den Hof fordert Adam
Krafft eine obrigkeitliche Ordnung, den Sonntag und
die Feste Christi zu schützen, vgl. Quellen III,
657 B S. 89.
12 Die Feiertagsordnung der sächsischen Agende vgl.
Sehling I, 274.
13 Eine ähnliche Schilderung schon in dem Bericht
Adam Kraffts vgl. Quellen III, 657 B, S. 89.
14 Klagen, daß der Katechismus nicht gehalten wird,
waren auch früher gekommen, vgl. Quellen II,
506. So bestimmen die Artikel für eine allgemeine
Kirchenvisitation vom April 1556 (Quellen III,
797) und der Synodalabschied der Kasseler Synode
vom Mai 1556 (Quellen III, 802), den Katechis-
mus fleißig zu treiben.
15 Vgl. die Khchenzuchtordnung von 1543, Abschn. 4
(S. 151).
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Nusquam est, qui ubique est8, et nemo potest
duobus dominis servire [Mt 6, 24].
[3] Damit auch die pastores desta besser studie-
ren, bucher zeugen mögen und ihren kindern das
tegliche brod zue geben haben, hospitales sein kön-
nen, so hat unser g. f. und Herr die absent9 ab-
geschafft; und etzliche geschlecht vom adel aus
christlichem, adelischem bedenken selbst willig
nachgelassen und zue einem gar löblichen exempel
der ritterschaft nicht mehr heben und haben wol-
len.
Es sollen alle, so in pastoreien gehören und in
den filialkirchen wohnen oder capellen bei sich ha-
ben, alle festa Christi, unsers lieben Herren, und
alle sontag und bettage in ihre heuptpfarren kom-
men, sich ihrer pastorn selbs leren lassen und den-
selbigen sich zu erkennen geben.
So aber weren alte, junge oder schwachen, so die
heuptpfarren zue besuchen nit vermochten, die sol-
len durch den pastor oder seinen coadjutorem die
wochen uf einen gewissen tag mit Gottes wort
unterwiesen und getrostet werden.
[4] Es sollen auch alle fest Christi, alle sontage
und andere, wie in uberschickter agenda10 von
unserm g. f. und Herren vermeldet wurd, zuegleich
in allen kirchen gehalten werden.
Dieweil aber die feier vom ersten ingesetzt wor-
den sein, daß der gemein mann der herrlichen wol-
taten Gottes oft erinnert werde und die herzen,
Gott zu preisen, angezundet, ist von noten, das die
obrikeit aus craft ihres von Gott bepholenen ampts
8 Seneca, Ad Lucilium Epistularum moralium quae
supersunt, ep. II, 2; ed. O. Hense, Bibl. Teubne-
riana, Seneca III, 1914 S. 3.
9 Vgl. die Kirchendienerordnung 1537, Abschn. 6,
S. 96.
10 Gemeint ist wohl die Kirchenordnunge zum anfang,
für die pfarherrn in herzog Heinrichs zu Sachsen
u. g. h. fürstentum (1539) in ihrer Fassung von 1540
(mit dem Titel Agenda das ist kirchenordnung für
die diener der kirchen in herzog Heinrichen zu Sach-
sen fürstentum gestellet, Sehling I, 264ff.; vgl.
auch I, 89). Sie war vom Landgrafen an alle Gemein-
den geschickt worden (vgl. das Schreiben der Diener
der Kirchen der Niedergrafschaft Katzenelnbogen an
den Landgrafen vom 22. Juni 1563, Quellen III,
906) und war auch in Marburg in Gebrauch (vgl. den
Bericht Adam Kraffts vom 11. Okt. 1548, Quellen
III, 657 B, S. 89).
alle, so christen sein wollen, zum wort Gottes und
der feir nicht zue misbrauchen, anhalten11.
Vor allen dingen sollen sich die amptknecht
enthalten, von den amptsverwandten frondienst zu
fordern oder tage anzusetzen, vertrege zue machen
zue der zeit, wann man Gottes wort leret und feir
halten will.
Viel weniger sollen sie in ihren heusern, wie sie
pflegen ein weinsaufens anrichten, das volkvom
wort abzuehalten.
Die feirtage, so man halten soll, auch wie man
sie halten soll, findet man in der agenda12. Und
sollen alle sontage und fest Christi zwo predigt ge-
scheen der gemein, das sie nicht durch mussigang
ursach gewinnen, das weinhaus, spielhaus oder
kegelbahn13 zue suchen oder ergers zu treiben, wie
leider mehr geschicht uf die feirtage dann werkel-
tage.
[5] Wilcher predicant den catechismum nicht
vleißig treibt14, lehret und ubet, soll nicht gelied-
den, sonder ein anderer an seine staidt geordnet
werden.
Und wilcher hausvatter sich selbst zum catechis-
mo sampt seinem hausgesinde, weibe und kinde
nicht findet und schicket, soll uber die straff der
obrigkeit15 vor keinen christen gehalten werden.
[6] Des Herren nachtmal, dieweil es vom Herren
an keine zeit gebunden, soll es, so oft hungerige
seelen und begirige herzen vorhanden sein, gehalten
und gebraucht werden. Und je ofter des Herren tod
und alle seine woltaten bedacht werden, je besser
11 Schon in seinem Bericht an den Hof fordert Adam
Krafft eine obrigkeitliche Ordnung, den Sonntag und
die Feste Christi zu schützen, vgl. Quellen III,
657 B S. 89.
12 Die Feiertagsordnung der sächsischen Agende vgl.
Sehling I, 274.
13 Eine ähnliche Schilderung schon in dem Bericht
Adam Kraffts vgl. Quellen III, 657 B, S. 89.
14 Klagen, daß der Katechismus nicht gehalten wird,
waren auch früher gekommen, vgl. Quellen II,
506. So bestimmen die Artikel für eine allgemeine
Kirchenvisitation vom April 1556 (Quellen III,
797) und der Synodalabschied der Kasseler Synode
vom Mai 1556 (Quellen III, 802), den Katechis-
mus fleißig zu treiben.
15 Vgl. die Khchenzuchtordnung von 1543, Abschn. 4
(S. 151).
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