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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0197
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Kirchenordnung 1566

gleich so wol als im weltlichen regiment und be-
wonung ein underscheid zwischen den personen sei
und gehalten werde, darvon der apostel auch etwas
meldet, da er sagt: Ich laß euch wissen, daß Chri-
stus ist eines jeglichen mannsheupt, der mann aber
ist des weibes heupt, Gott aber ist Christus heupt,
1. Cor. 11 [3]. Item: Es seind mancherlei gaben, aber
es ist nur ein geist, es seind mancherlei empter, aber
es ist ein Herr, 1. Cor. 12 [4f.], an welchem ort das
gleichnus des leibs und gliedmaßen am menschen
eingefurt und damit die ungleichheit der gaben und
empter ganz fein und artig dargegeben und erkleret
wird. Diesen underscheid sollen wir erkennen und
den fürzug, damit Gott einen jedern begabt, einer
dem andern gern geben und gonnen (Einer komrn
dem andern mit ehrerbietung zuvor, Rom. 12, 10),
dergleichen auch was eines jedern ampt und be-
ruf sei und was sich an einem jeglichen ort ge-
büren oder nicht gebüren will, bedenken und uns
in allen stücken, sonderlich aber, wenn wir zum
gottesdienst in der gemeine zusamenkommen, wie
es einem jedern nach gelegenheit seiner person und
ampts wol anstehet, halten. Solchs meinet der hei-
lige Paulus, da er will, es solt alles züchtiglich oder
ehrlich zugehen [1. K 14, 40].
Das ander stück, so der apostel zu guter verwal-
tung des kirchenampts nötig achtet, ist ordnung
(ταξις), welche der heilige Augustinus, De Civitate
Dei lib. 19 cap. 1311 nennet ein satzung, da glei-
chen und ungleichen dingen einem jeglichen sein
gebürender ort gegeben und zugeeignet wird. Was
diese für einen großen nutzen bringe, ja wie hoch
sie vonnöten sei zu allen sachen, so da sollen recht
und nutzbarlich verrichtet werden, beweiset das ge-
schöpf Gottes, die ganze natur und alle natürliche
cörper, welche nicht allein ordentlich gemacht und
ein jedes von Gott an seinen gebürenden ort ge-
setzt seind, sondern auch alle ihre wirkung zu ge-
wisser zeit, an gewissen orten und durch besondere
ursachen und instrumenten volnbringen, also auch,
daß ihr ganz substanz und wesen verderbet, alle
ihre kreft und wirkung beschediget oder verhindert
werden müßten, da hirzu die allergeringste ver-
wirrung oder enderung geschehe. Die himmlischen

naturen sonne, monde, sternen, wie lang würden
sie bestehen künnen, wenn sie aus ihrem ort, den
ihnen Gott in der schöpfung geben hat, verrücket
werden solten ? Wie lang würden sie die elementen
und underste welt erhalten, wermen und erleuch-
ten, lebendig und fruchtbar machen, den under-
scheid der zeit, sommer, winter, tag, nacht zu-
wegen bringen, wenn die gewisse ziele ihres laufs, so
sie gleichförmiglich zu halten pflegen, verendert
oder verhindert würden ? Wie wolten die mancher-
lei art und geschlecht der vermengten cörper in der
understen welt, menschen, tier, vögel, fisch und
allerlei gewechs, bleiben, wenn sie nicht bei ihrer
gewissen ordnung der zeit, des orts, natürlicher ur-
sachen, so zu ihrer erhaltung verordnet seind, ge-
lassen würden ?
Was aber in policeien und gemeiner bürgerlichen
regirung, in haushaltung, allerlei künsten und han-
tirungen, in reden, schreiben, lesen, leren, lernen
und was dergleichen ist, ordnung für eine sonder-
liche kraft habe, ist weitleuftig zu erzelen nicht
vonnöten. Es gibt die gemeine erfarung, daß alle
hendel, damit die menschenumbgehen,leichtlicher,
glücklicher und fruchtbarlicher fürgenommen und
volnzogen werden von denen, so ordnung verstehen
und halten, denn von denen, die es für gleich ach-
ten, ob etwas zuerst oder am letzten, fornen, hin-
ten oder mitten gesetzt oder gehandlet werde.
Derhalben, auf daß der dienst des Herrn Jhesu
Christi auch fruchtbarlich getrieben werden möge,
sihet der apostel für gut an, daß alles nicht allein
züchtiglich, sondern auch ordentlich zugehe, und
will hiemit leren, es müsse ein underscheid der per-
sonen und empter sein und einem jeden, nach dem
er von Gott reichlich oder meßiglich begabt, ein
dienst und werk in gemeinen versamlungen zu ver-
sehen befohlen werden, daß etliche bischof, et-
liche pfarherrn, die andern caplan, diacon, cüster
oder opfermenner seien, wie Gott selbs die gaben
austeilet; daß einer zum höhern, der ander zum ge-
ringern ampt geschickt und tüglich ist; daß nicht
einem jeglichen nach seinem gefallen, so auch nichts
darvon wisse und gelernet habe, die kirchen zu
reformiren, zu predigen, teufen etc. vergönnet

11 Augustinus, De civ. Dei 19, 13; MPL 41, 640; CSEL 40, II, 395.

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