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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0234
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Kirchenordnung 1566

und verstehen und von geistlichen sachen urteilen
können, also hat man auch zweierlei weise zu leh-
ren: Die eine, da man nach gelegenheit der groben
unwissenden etliche heuptstuck der christlichen
lehr ganz schlecht und kurzlich furgibt und aus-
legt, gleich wie man den kindern milch gibt oder
vorgekeute speise einstreicht. Die andere, do man
beneben den heuptstucken der christlichen lehr
andere hohere und großere fragen und artickel
weitleuftiger und eigentlicher erkleret, also daß
diese mag vergleichet werden der speise, die man
den erwachsenen und alten leuten gibt.
Diese beide weis haben mir vom apostel Paulo
gelernet, welcher 1. Cor. 3 [1-3] sagt: Und ich, lie-
ben brüder, kunt nicht mit euch reden als mit geist-
lichen, sondern als mit fleischlichen, wie mit jungen
kindern in Christo. Mlch hab ich euch zu drinken
geben und nicht speise, dann ihr kundet noch nit,
auch künt ihr noch itzt nit, dieweil ihr noch fleisch-
lich seid. Und Ephes. 4 [13f.] werden die, so da
noch gar kindisch seind in der erkantnus Christi
und geistlichen dingen, underscheiden von denen,
die in solcher erkantnus wachsen und zuletzt das
volkommen alter erreichen.
Derhalben gebrauchen wir ein solche einfeltige
gemeine und leichte form des catechismi, daß wir
mit einerlei worten, so da in gleicher ordnung ste-
hen, alles stets wiederholen, uf daß nicht etwa
durch erneurung oder versetzung der wort die zu-
hörer irre gemacht werden. Und dieses sagen mir
ihn oft und fleißig fur, lassens auch die kinder aus-
wendig nachsagen, nicht allein alle wochen, wan
man den catechismum lehret, da die kinder und
unerfarne der christlichen lehr allein zusammen-
kommen, sondern auch fur der ganzen gemein und
versamlung der gleubigen, wenn sie zum heiligen
abendmal des Herrn erstlich begeren zu gehen, also
daß keines so grob und unverstendig ist, das solchs
nicht fassen und behalten könne. Dan wir seind
genzlich der meinung, daß, wo der grund des cate-
chismi in allen kirchen nicht zuvor recht gelegt sei,
da werde alle arbeit, das ander darauf zu bauen,
umbsonst und vergeblich angewendet. Und dieweil
mir sehen, daß in der apostel schriften diese lehr

50 S. 214 Anm. 25-28.

des catechismi allenthalben uns furgehalten, er-
kleret und befohlen wird, were es fast ubel getan,
wann wir sie nicht auch mit allem fleiß lereten und
trieben.
Von der lehr und starken speise der
erwachsenen
Was aber die hohere lehr belangt, welche vil und
mancherlei stuck hat, so hin und wider im neuen
und alten testament etwa weitleuftig erkleret wer-
den, aber kurzlich und in einer summa im cate-
chismo und symbolis, die mir zuvor genent haben50,
verfasset sind, dieselbige lehren und treiben wir in
allen unsern kirchen genzlich treulich und ohn
underlaß uf diese weise wie folget.
(1) Uf daß die zuhörer desto mehr nutzes schaf-
fen mögen und einen gemeinen behelf haben, die
schrift desto leichtlicher zu verstehen, verschaffen
wir so vil möglich, daß ganze bücher der heiligen
schrift beide, aus dem neuen und alten testament
offentlich in der kirchen gelesen und dem volk nach
gebürlicher ordnung ausgelegt und erkleret wer-
den.
Wir vermanen in der predigt oftmals alle men-
schen, wes stands die sein mögen (nach dem befelch
Christi und seiner heiligen aposteln [Joh 5, 39;
2. Tim 3, 15-17]), daß sie auch daheim in ihren
heusern die bücher der heiligen schrift stetigs
durchlesen und ihr ganzes hausgesinde zuhören las-
sen. Dieses ist ein ganz heilige ubung, alle die sich
daran gewehnen, die können desto ehr und leicht-
licher verstehen und begreifen, was zur erklerung
und auslegung der schrift offentlich in der kirchen
gesagt wird, sie konnen auch desto ufrichtiger und
warhaftiger davon richten und urteilen.
(2) Wann wir aber ein buch der heiligen schrift,
es sei gleich welches es wolt, in der gemein furlesen
und auslegen, befleißigen wir uns, diese weise zu
halten: Wir lassen uns am allermeisten angelegen
sein, daß wir solche wort und art zu reden gebrau-
chen, auch die ding, davon geredt wird, dermaßen
den zuhörern furtragen und beinahe vor die augen
stellen, wie mans an andern ortern der schrift fin-

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