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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0288
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Kirchenordnung 1566

vatters statt ist (welchen den sonderlich gebüret
zu verhüten, damit das kind durch unfleiß oder ver-
achtung ohne taufe nit abgehe oder sterbe) zum
pfarherr oder kaplan, zeigt an, Gott habe ihm ein
kindlein beschert, welches er begere, daß es durch
die h. taufe Christo und seiner kirchen eingeleibt
werde, damit es der göttlichen verheißung mit an-
dern auserwelten und gleubigen teilhaftig werden
möge. Darauf spricht der pfarherr, es sei billich,
daß er die sonderliche woltat Gottes erkenne, weil
ihm Gott ein kind beschert habe, sintemal im
128. psalm solchs gerechnet werde unter die segen
des Herrn, domit er die gottsfürchtigen begnade.
Weil es aber in der erbsünd entpfangen und geborn
und von natur ein kind des zorns sei, tue er recht,
daß er das kind durch die h. taufe dem Herrn
Christo zuzubringen gedenke, damit es uf ein neues
aus wasser und geist geborn, unter die kinder Gottes
gezelet, des himmelreichs teilhaftig möcht werden,
lobet ihn,daß er vor das kind sorgt, vermanet ihn, sol-
ches ufs beldest zur taufe zu bringen, auch hernach,
so viel an ihm, christlich ufzuziehen, sich mit allem
ernst zu befleißigen, in der waren christlichen reli-
gion zu underweisen oder durch andere, daß solchs
geschehe, zu verschaffen, damit es nit wie ein unver-
nünftig tier ohne erkantnus Gottes und seines wil-
lens lebe und darüber zum verderben gerate. Dann
es sich gebüren will, daß ein christ in den waren er-
kantnus Gottes und gottseligem züchtigem leben
die unchristen und gottlosen weit ubertreffe. Solchs
verspricht dann des kinds vatter, und damit es in
itzt gemeltem stück desto weniger mangeln möge,
zeigt er an, er wölle dem kind ein pettern oder ge-
vattern suchen und bitten, der solches verspreche
und mithelf zu leisten, welchen er auch so bald
nennet. Es ist aber billich, daß man zu paten oder
gevattern erwele und bitte rechte, ware, fromme,
gottsfürchtige und gleubige menschen60, die den
handel der heiligen tauf vornemlich verstehen und,
was sie an des kinds statt versprechen, erwegen,
zu den man sich auch versicht und vertrauet, sie

60 Über die Zulassung von ,,Papisten“ zu Gevattern
vgl. Absch. d. Generalsynode 1568, Abschn. 6 und
H. Heppe, Khchengeschichte 1, 32f.
60a ,,der kirchen“ bis „nicht zulassen“ aus der Kasseler
KO 1539, S. 116.

werden dem nachkommen, was sie des kinds hal-
ber versprochen haben. Denn leichtfertige und- gott
lose menschen, so mit offentlichen lastern behaft
und verstrickt seind, werden in diesem ampt nit
viel frucht schaffen. Darumb der kirchendiener, so
er vermerkt, daß leut zu gevattern genent werden,
die sich des christlichen glaubens und lebens nit
verstehen, auch mit verstand und andacht den kin-
dern umb gnade nit bitten können, viel weniger
helfen, daß sie zum rechtem christlichem leben uf-
erzogen werden möchten, oder epicurer und ver-
echter aller religion, oder mit offentlichen lastern
behaftet weren, darzu soll er diejenigen, welche nit
alle christliche gememschaft mit der kirchen60a vor-
nemlich beim h. abendmal halten, zu gevattern
nicht zulassen, sie geben denn von sich anzeigung
rechter warer buße und gewißlich verheißen, sie
wöllen sich in besserung ihres lebens in solchen
dingen hinfurt halten und tun, was christen gebürt
und zustehet. Denn das ampt der gevattern in der
kirchen Christi ist ehrlicher und herlicher denn der
gemein mann achtet und verstehen kann.
Erstlich seind die gevattern als bürgen, welche
an statt des getauften ihren glauben in sachen die
religion belangend zu pfand setzen. Furwahr, was
vor zeiten getan und sich verpflicht haben, welche
die alten ungetauft zur kirchen füreten, darvon zu-
vor meldung geschehen, nemlich daß sie recht müß-
ten underweist werden und darnach getauft, eben
dasselb tun und verpflichten sich diejenigen, so itzt
zur zeit die kinder als gevattern zu teufen der kir-
chen zubrmgen, ja, sie tun viel mehr, weil die kin-
der vor sich selbst nichts versprechen können. Die
alten aber in der ersten kirchen verhießen und be-
kanten selbst bei der taufe mit eigner stimme; do-
her Augustinus in 215. predigt61 die susceptores,
das ist gevattern, fideiussores, das ist bürgen, nen-
net. Nun nimpt man je in zeitlichen sachen nie-
mand zu bürgen denn glaubwürdige leut, denen
man vertrauet, sie können und wöllen glauben hal-
ten.
61 Augustinus, Sermo 265; MPL 39, 2238. Zur Tradi-
tion: Gratian, Hist. 4 can. 105 de cons.; ed. Fried-
berg 1394; Hyperius, De catechesi 3, Var. op. 1,
461 f.

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