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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0308
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Kirchenordnung 1566

sie versprechen den gehorsam der kirchen, werden
sie gleich angehalten, ihren wandel und leben desto
besser nach Gottes wort anzurichten. Zuletzt ist
auch kein zweifel, das gebet, welches vor sie vom
diener und der ganzen kirchen geschicht, habe auch
sein kraft und frucht, weil von Gott gebeten und
in Christo erlanget wird mehrung des h. Geistes,
der ihre herzen immer je lenger je mehr und wei-
ters heilige, bewege, lehre, füre und regiere, auch
verschaffe, daß sie in erkantnus der warheit durch
täglich hören der heilige predige göttliches worts
oder lesen der h. schrift doheim zunemen, in guten
werken sich desto fleißiger uben und durch den
hei. Geist im glauben gesterkt und bestetiget wer-
den66.
(4) Macht auch diese handlung und gibt ursach,
daß mit größerem fleiß in der kirchen die kinder-
lehr christlicher religion getrieben werde. Denn es
erweckt fast sehr den fleiß der lehrer und predi-
ger67, weil sie wissen, es werde in kurzer zeit ge-
schehen, daß die geschicklichkeit eines jeden zu-
hörers insonderheit vor der kirchen verhort werde68.
Derhalben underlassen sie nichts an ihrem fleiß und
treu zu lehren erwinden, und, nachdem sie denn
sehen, daß die geschicklichkeit und besserung ihrer
zuhörer von der kirchen offentlich gelobt und mit
dem gebet und uflegung der hende bestetiget wird,
ists ihnen ein sonderlich freud, wenn sie sehen, daß
sie solche fromme schuler in der lehr der christ-
lichen religion uferzogen haben.
(5) Es wird auch die ganze kirche durch diese
handelung zur lieb und freud der gottseligkeit nit
wenig bewegt69. Denn durch diese ubung der lehr
des catechismi, beide daheim, in der schul und in
der kirchen, durch welche die heuptartickel christ-
licher religion verhandelt, wird algemach zuwegen
bracht, daß beide, in heusern und in der ganzen
kirchen, die lehr der christlichen religion desto mehr
statt bekommen, weiters geprediget, gehört und
gelernet worden und etlichermaßen wiederumb in
schwank kompt, das der apostel vor allen dingen
erfordert, da er spricht (Coloss. 3, 16): Lasset das
wort Christi reichlich under euch wohnen in aller
66 Vgl. Hyperius, De catechesi 3; Var. op. 1, 478f.
67 Vgl. Hyperius, De catechesi 4; Var. op. 1, 499f.

weisheit, lehret und vermanet selbst mit psal-
men und lobgesengen, mit geistlichen lieblichen lie-
dern etc. Zudem, wenn die kinder offentlich ein be-
weis tun ihres zunemens, beide in der christlichen
lehr und leben, vor der kirchen, so verstehet die ge-
meine, was vor reben von dem rechten weinstock
Christi aussprießen und was vor hoffnung an ihnen
zu erlangen sei, gewint ein zuversicht und trost,
daß etliche aus solchen kindern tüchtig werden zu
lehrern und predigern, darumb könne die kirche
nit verlassen werden von gottseligen gelerten die-
nern; denn Salomon spricht nit vergebens (Pro-
verb. 20, 11): Man erkennet auch ein knaben an
seinem wesen, ob er fromb und redlich werden
wölle. Die alten, wenn sie hören, daß in der kirchen
von den kindern die lehr des catechismi widerholet,
des glaubens bekantnus erfordert und gehorsam in
der kirchen versprochen wird, werden sie bewegt,
zu betrachten bei sich selbst, was auch von ihnen
erfordert werde, weil sie der kirchen Gottes durch
die h. taufe eingepflanzet und nach der tauf in der
uflegung der hende eben dasselbig bekant und ver-
heißen, und werden oft bei solcher betrachtung et-
lich dahin bracht, daß sie ganz andere und neue
menschen werden. Dann sie bedunkt, daß sie einen
hören, der sie trefflig erinnere und ihnen ernstlich
zuschreie die wort Pauli (Ephes. 5, 14): Wach uf,
der du schleffest, stehe uf von den toten, so wird
dich Christus erleuchten. Wo diese action in rechter
ubung gehet, wie vermeldt, kann die kirchenzucht
desto besser angericht und erhalten werden. Denn
wenn sichs begebe, daß jemands nach solcher ge-
taner bekantnus und versprechen des gehorsams
der kirchen sich in etwas ubersehe, mit diesen kön-
ten die eltesten sampt der diener dermaßen reden
und handeln, daß ihnen zu herzen gehen könte und
bewegen müßte, sonderlich wenn sie erinnert wür-
den, was sie neulich vor der kirchen bekant und
angelobt hetten, als ihnen die hende ufgelegt wor-
den sein. Aus diesem müßt von not wegen folgen
ein offentlich besserung des lebens bei allen sten-
den der kirchen. Denn die gottseligen würden freude
und lust bekommen, in einer solcher kirchen zu
68 Vgl. Hyperius, De catechesi 4; Var. op. 1, 500 und
unten S. 293.
69 Vgl. Hyperius, De catechesi 4; Var. op. 1, 498.

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