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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0050
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Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618

führen und Landtage, das Hofgericht sowie die kirchlichen Generalsynoden gemeinsam besuchen sollten.
Auch die Universität Marburg stand unter gemeinschaftlicher Regierung der Brüder.28
Nicht nur das Land blieb nach der Teilung nominell als Gesamtstaat bestehen, sondern auch die kirch-
lichen Strukturen. Die Brüder hielten ihre religionspolitischen Vorstellungen am 28. Mai 1568 in der Zie-
genhainer Erbeinung29 fest: In allen Landesteilen sollte das gleiche, auf der Confessio Augustana beruhende
Bekenntnis gültig sein. Jeder Landgraf bestellte für seinen Landesteil die Superintendenten. Von den sechs
Amtsinhabern unterstanden nach 1567 diejenigen in Kassel, Rotenburg und Alsfeld/Nidda Wilhelm IV.,
der in Marburg Ludwig IV., der in St. Goar Philipp II. und der in Darmstadt Georg I.30 Die Superinten-
denten hatten Visitationen durchzuführen und kamen jährlich alternierend in Kassel und Marburg zu
Synoden zusammen. Auf diesen Treffen sollten sie gemeinsam mit ausgewählten Predigern, ein bis zwei
Theologieprofessoren und den landgräflichen Räten über Kirchenfragen entscheiden und Missstände
abschaffen. Nach der Landesteilung waren die Generalsynoden das wichtigste Instrument der gemeinsamen
hessischen Religionspolitik. Sie traten zwischen 1568 und 1582 dreizehnmal zusammen; ihre Abschiede
erhielten durch Unterschrift der Synodalen und Ratifizierung der Landgrafen Rechtskraft.31 Jeder der vier
Landgrafen war zwar summus episcopus seines Territoriums, zugleich jedoch an die Zustimmung seiner
Brüder und der Superintendenten gebunden.32
Bereits 1528 war die geistliche Gerichtsbarkeit auf Landgraf Philipp I. übergegangen, der im selben Jahr
eine besondere Abteilung am Hofgericht zu Marburg geschaffen hatte, die geistliche Rechtsfragen ent-
schied. Nach der Landesteilung beschlossen die vier Brüder, diese Institution nicht gemeinsam fortzufüh-
ren, sondern ihren jeweiligen Kanzleien ein Kollegium für geistliche Rechtsfragen anzugliedern.33
Zur Umsetzung ihrer gemeinsamen Kirchenpolitik hatten die Landgrafen mit den Superintendenten,
den Generalsynoden und den geistlichen Gerichten jedoch nicht nur den Verwaltungsapparat geschaffen,
sondern sie erließen auch gemeinsam einige Kirchenordnungen. Auslöser für die Erarbeitung eines neuen
Regelwerks war, dass sich die Kirchenordnung von 1566 für den alltäglichen Gebrauch als zu umfangreich
darstellte. Zur praktischen Handreichung sollte also ein Auszug aus dem dritten Teil der Ordnung geschaf-
fen werden, der 1572 jedoch schließlich in eine Neukonzeption mündete.34 Die Reformationsordnung von
1572 basiert auf der überarbeiteten Kirchenzuchtordnung von 1543, sie hat folglich ebenfalls deutliche Züge
von Kirchen- und Sittenzucht. Daneben hielt sie fest, wie die Geistlichen gewählt und in ihr Amt eingesetzt
werden sollten.35
1574 schufen die Landgrafen mit der Agende36 ein weiteres gemeinsames Regelwerk. Diese Agende sollte
gemeinsam mit der Reformationsordnung von 1572 die kirchliche Einheit Hessens erhalten, wobei die
Lehrnormen und somit die konfessionelle Ausrichtung der Landgrafschaft weiterhin offen gelassen wurde.
Die Ordnungen waren theologisch also ebenso weit gefasst wie ihre Vorgängerin von 1566 und die traditio-
nelle hessische Mittelstellung zwischen Luthers und Zwinglis bzw. Calvins Theologie blieb erhalten.37

28 Rudersdorf, Erneuerung, S. 144; Dülfer, Fürst,
S. 172f.; Hermelink/Kaehler, Philipps-Universität,
S.164-224.
29 Abdruck in Rommel, Geschichte V, S. 139-168; vgl.
Hochhuth, Diöcesan-Synoden, S. 13f.
30 Noack, Georg I., S. 45 Anm. 132.
31 Sehling, EKO VIII, S. 343; zum Charakter der Gene-
ralsynoden siehe Rudersdorf, Ludwig IV., S. 221-227;
ders., Universitätsgründung, S. 56; Ritter, Konfession,
S. 139 Anm. 33; Jahr, Traditionsbestimmtheit, S. 192-
198; dies., Reformation und Tradition; Noack, Georg
I., S. 45; Münch, Zucht und Ordnung, S. 113.

32 Noack, Georg I., S. 115f.
33 Ebd., S. 138; Diehl, Kirchenbehörden, S. 179.
34 Abdruck in Sehling, EKO VIII, S. 394-407. Vgl. den
Synodalabschied von 1569 ebd., S. 344.
35 Die Inhalte der beiden Ordnungen von 1572 und 1574
wurden auf den ersten sechs Generalsynoden zwischen
1568 und 1574 erarbeitet, siehe die Abschiede Sehling,
EKO VIII, S. 347-372.
36 Abdruck in Sehling, EKO VIII, S. 408-469.
37 Noack, Georg I., S. 45f.

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