Incertarum fabularum fragmenta (fr. 47)
273
die Vergangenheit ging - der Sprecher beispielsweise die zeitgenössische
Verehrung der Peitho thematisieren oder mit einer komischen Pointe die
Überlegung zu den „unsichtbaren“ Heiligtümern der Göttin bei den Menschen
durch die Erwähnung von wirklichen Heiligtümern der Peitho (s. infra zum
Lemma) umkehren.373 Ein Witz über den Begriff „Überredung“ bei Euripides
kommt in Ar. Ran. 1390-6 vor: Euripides und Aischylos zitieren jeweils den
ersten Vers der beiden oben erwähnten Fragmente (Aesch. fr. 161,1 R. und Eur.
fr. 170,1 Kn.), um sie gegeneinander abzuwiegen und zu entscheiden, welcher
der schwierigste (und beste) ist. Während Aischylos gewinnt, weil er θάνατος,
„das schwierigste aller Schicksalsschläge“, in die Waagschale gelegt hat, klagt
Euripides darüber, dass er trotz der Verwendung von πειθώ - ein έπος άριστ’
είρημένον - verloren hat; dies wiederum kommentiert Dionysos, der Richter
des Agons, durch πειθώ δε κουφόν έστι καί νοΰν ούκ έχον („die Überredung
ist eine leichte Sache und hat keinen Verstand“).
βωμός Das Substantiv374 bezeichnet schon bei Homer (z.B. II. 8,249,
11,808, Od. 3,273, 6,162)375 den erhöhten, natürlichen oder künstlichen Altar,
der auf einer Basis errichtet worden sein könnte und für Brand-, Trank- oder
andere Opfer verwendet wurde, vgl. auch die Gegenüberstellung bei den
lexikographischen Quellen (z.B. Steph. Byz. ß 199 Billerbeck; Phot, ε 2041)
zwischen dem βωμός und der in den Boden eingetieften έσχάρα.376 Zu βωμός
s. Reisch 1897 und die ausführliche Diskussion bei Stengel 1920, 11-7 (insb.
373 Raines (1934, 338) nimmt an, dass έν γυναιξίν οΰτ’ έν ανδρεία φύσει bei Archippos
in obszönen Sinne zu verstehen sei, vielleicht auch weil Peitho mit der erotischen
Sphäre verbunden war (s. infra zum Lemma). Diese Interpretation ermöglicht es,
dem Fragment eine zweite (witzige) interpretative Ebene zugrunde zu legen. Die
allgemeine Interpretation des Fragments scheint aber dadurch schwieriger zu
werden, s. bereits Reitzenstein 1907, xxii, der jedoch die Stelle - auf spekulative
Weise - als «ein[en] Versuch die Urgeschichte der Menschheit zu erzählen» deutet
und darin einen Nachweis für Archippos’ Meinung sieht, «daß die Beredsamkeit
die Vereinung der Menschen und damit die Kultur herbeigeführt hat».
374 Für eine Herkunft aus βαίνω und gegen die Erklärung des Substantivs als semi-
tisches Lehnwort sprechen sich unter anderem Chantraine und Frisk (beide s. v.
βωμός) aus, s. dazu auch Burkert 1975, 77 mit Anm. 134.
375 Homer verwendet das Substantiv aber auch als Bezeichnung für die erhöhte Platt-
form eines Wagens (z.B. II. 8,441) und für die Basis von Statuen (z.B. Od. 7,100).
376 Reisch (1897, 682) verwirft diese Unterscheidung aufgrund der Inschrift βωμός auf
der Frangoisvase (aus der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr.), die dort in einem Bezug
zu einem stufenlosen, aufgemauerten Altar steht. Die Inschrift - deren Standort
Reisch nicht genau angibt - ist wahrscheinlich mit der Inschrift BO zu identifizie-
ren, die in der Tat unvollständig ist und sich auf einem Altar befindet, der ebenso
nur zum Teil zu sehen ist, s. Beazley 1986, Abb. 24,1.
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die Vergangenheit ging - der Sprecher beispielsweise die zeitgenössische
Verehrung der Peitho thematisieren oder mit einer komischen Pointe die
Überlegung zu den „unsichtbaren“ Heiligtümern der Göttin bei den Menschen
durch die Erwähnung von wirklichen Heiligtümern der Peitho (s. infra zum
Lemma) umkehren.373 Ein Witz über den Begriff „Überredung“ bei Euripides
kommt in Ar. Ran. 1390-6 vor: Euripides und Aischylos zitieren jeweils den
ersten Vers der beiden oben erwähnten Fragmente (Aesch. fr. 161,1 R. und Eur.
fr. 170,1 Kn.), um sie gegeneinander abzuwiegen und zu entscheiden, welcher
der schwierigste (und beste) ist. Während Aischylos gewinnt, weil er θάνατος,
„das schwierigste aller Schicksalsschläge“, in die Waagschale gelegt hat, klagt
Euripides darüber, dass er trotz der Verwendung von πειθώ - ein έπος άριστ’
είρημένον - verloren hat; dies wiederum kommentiert Dionysos, der Richter
des Agons, durch πειθώ δε κουφόν έστι καί νοΰν ούκ έχον („die Überredung
ist eine leichte Sache und hat keinen Verstand“).
βωμός Das Substantiv374 bezeichnet schon bei Homer (z.B. II. 8,249,
11,808, Od. 3,273, 6,162)375 den erhöhten, natürlichen oder künstlichen Altar,
der auf einer Basis errichtet worden sein könnte und für Brand-, Trank- oder
andere Opfer verwendet wurde, vgl. auch die Gegenüberstellung bei den
lexikographischen Quellen (z.B. Steph. Byz. ß 199 Billerbeck; Phot, ε 2041)
zwischen dem βωμός und der in den Boden eingetieften έσχάρα.376 Zu βωμός
s. Reisch 1897 und die ausführliche Diskussion bei Stengel 1920, 11-7 (insb.
373 Raines (1934, 338) nimmt an, dass έν γυναιξίν οΰτ’ έν ανδρεία φύσει bei Archippos
in obszönen Sinne zu verstehen sei, vielleicht auch weil Peitho mit der erotischen
Sphäre verbunden war (s. infra zum Lemma). Diese Interpretation ermöglicht es,
dem Fragment eine zweite (witzige) interpretative Ebene zugrunde zu legen. Die
allgemeine Interpretation des Fragments scheint aber dadurch schwieriger zu
werden, s. bereits Reitzenstein 1907, xxii, der jedoch die Stelle - auf spekulative
Weise - als «ein[en] Versuch die Urgeschichte der Menschheit zu erzählen» deutet
und darin einen Nachweis für Archippos’ Meinung sieht, «daß die Beredsamkeit
die Vereinung der Menschen und damit die Kultur herbeigeführt hat».
374 Für eine Herkunft aus βαίνω und gegen die Erklärung des Substantivs als semi-
tisches Lehnwort sprechen sich unter anderem Chantraine und Frisk (beide s. v.
βωμός) aus, s. dazu auch Burkert 1975, 77 mit Anm. 134.
375 Homer verwendet das Substantiv aber auch als Bezeichnung für die erhöhte Platt-
form eines Wagens (z.B. II. 8,441) und für die Basis von Statuen (z.B. Od. 7,100).
376 Reisch (1897, 682) verwirft diese Unterscheidung aufgrund der Inschrift βωμός auf
der Frangoisvase (aus der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr.), die dort in einem Bezug
zu einem stufenlosen, aufgemauerten Altar steht. Die Inschrift - deren Standort
Reisch nicht genau angibt - ist wahrscheinlich mit der Inschrift BO zu identifizie-
ren, die in der Tat unvollständig ist und sich auf einem Altar befindet, der ebenso
nur zum Teil zu sehen ist, s. Beazley 1986, Abb. 24,1.