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Incertarum fabularum fragmenta (fr. 51)

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Der Wortschatz und die verwendeten rhetorischen Stilmittel suggerieren
einen gnomischen Tonfall des Fragments. Überlegungen zu den thematisierten
Begriffen finden sich in der Tragödie und in der philosophischen Prosa (s. infra
zu den Lemmata), was auf einen gehobenen (parodischen?) Zusammenhang
des Fragments hinweisen könnte. Eine Überlegung zur Beziehung zwischen
άμαθία und δικαιοσύνη findet sich in Platons Hippias Minor, in dem Sokrates’
Argumentation zu dem Paradoxon führt, dass der Weise, der sich ungerecht
verhält, gut ist, vgl. insb. Hipp. Min. 375e ούχ ή άμφοτέρας έχουσα (sc. ψυχή),
επιστήμην και δύναμιν, δικαιότερα, ή δ’ αμαθέστερα άδικωτέρα („Ist nicht
die Seele, die beides - Kenntnis und Kraft - hat, gerechter und die unge-
bildetere Seele ungerechter?“). In Soph. Ant. 1059 σοφός συ μάντις, άλλα
τάδικεϊν φιλών verbindet Kreon zudem die σοφία des Sehers Teiresias mit
seiner Vorliebe für die Ungerechtigkeit.
αμαθής Mit Ausnahme von Sept. Sap. Apophthegmata fr. 1,4 D.-K. kommt
das Adjektiv erst im 5. Jh. v. Chr. vor und gehört zum gewöhnlichen Sprach-
niveau (in der Tragödie ist es nur bei Euripides bezeugt). Nach dem Zitatträger
trägt es in der vorliegenden Stelle die Bedeutung „von Natur aus unwissend“
(s. supra zum Zitatkontext), womit er den Sinn der ganzen Wendung αμαθής
σοφός erklärt und das Adjektiv αμαθής in der Bedeutung „un-gelernt“ zu
interpretieren scheint, vgl. dazu z. B. auch Ar. Nub. 135; Plat. Euthd. 275d. Es
kann aber auch jemanden bezeichnen, der etwas nicht weiß (z. B. Thuc. 4,41,3
mit Genitiv; Ar. Nub. 841, Av. 471, Ran. 933), weshalb es auch einen „dummen“
oder „blöden“ Menschen bezeichnen kann (z.B. Eur. Phoen. 569), ohne dass
es immer möglich ist, zwischen den Bedeutungen genau zu unterscheiden
(z.B. Ar. Pac. 1272; Isoc. 15,91). In Bezug auf Sachen vgl. Cratin. fr. 345 (ein
„ungebildeter“ λόγος „aus einem Schweinestall“); Men. Epitr. 1099 und 1101
(„etwas dummes“ tun).
σοφός Das Adjektiv, bei Homer und Hesiod nicht bezeugt (vgl. aber
σοφία in Hom. II. 15,412 und Hes. fr. 306 M.-W.), ist aber bereits in Archil.
fr. 211 W.2 und Theogn. 120 W.2und in der Lyrik (z.B. Alcm. PMGF 2(i),l = fr.
2b,6 Cal.; Ale. fr. 39a,9 V; Anacr. PMG 72,2; Pin. 01. 14,7) belegt. Als σοφός
wird jemand bezeichnet, der in einem bestimmten Fach geschickt ist (Bacchyl.
Ep. 12,1 M.n; Critias TrGF 43 F 19,34; Aesch. Supp. 770; Eur. Andr. 481; Ar.
fr. 612; Archipp. fr. 15) oder im Allgemeinen jemand (oder auch etwas, z.B.
in Straft, fr. 47,1), der klug und weise ist (Anacr. PMG 72,2; Pin. Pyth. 9,78;
Aesch. Eum. 279; Soph. Phil. 119; Eur. frr. 246, 581,2, 634,2, 809 Kn.; Cratin. fr.
184; Aischin. 1,46); zur häufigen Verwendung in Bezug auf Dichter vgl. z.B.
Ar. Ran. 780 (mit Dover 1993, 12-3). Die σοφία kann aber auch als negati-
ve Eigenschaft gelten, vgl. die als σοφός charakterisierte Odysseus-Figur in
Sophokles’ Philoktet, s. dazu Schein 2013, 21. Die Etymologie des Wortes ist
 
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