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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0018
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1.1 Zum Problem

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wird, wobei ,außerschulische‘ Entwicklungen meist außen vor blieben.20 Ebenso
ausschlaggebend ist sicher auch der Faktor, dass nur wenige der nicht in den Be-
reich der scholastischen Ethik fallenden Texte in zuverlässigen Ausgaben zur
Verfügung stehen - wobei dieser zweite Grund mit dem ersten in enger Verbin-
dung steht. Mit der vorliegenden Studie soll versucht werden, diese Situation in
beiden Punkten zu verbessern.
Zentriert ist diese Arbeit um eine Konzeption des Gewissens, die im 12. Jahr-
hundert erstmals begegnet: eben jene eingangs erwähnte Auffassung, der zufolge
das Gewissen in vier verschiedenen Arten zu finden sei: Es sei entweder gut und
ruhig, gut und unruhig, schlecht und ruhig oder schlecht und unruhig. Vier
Eigenschaften waren in dieser Sicht ausreichend, um jeden möglichen Zustand
des menschlichen Gewissens angemessen beschreiben zu können.
Maßgeblich ist dieser Entwurf mit der Person Bernhards von Clairvaux
verbunden. Nicht nur werden ihm eine Predigt und eine Sentenz zugeschrieben,
in denen dieses Motiv entfaltet wird; unter seinem Namen zirkulierte überdies
auch ein Brieftraktat, der sich den vier Gewissensarten ausführlich widmet. Die-
ses Werk soll im Folgenden erstmals kritisch und unter Heranziehung aller be-
kannten handschriftlichen Textzeugen ediert werden.
Neben den genannten drei Texten, deren Rezeption mit der Person des Zister-
zienserabtes verbunden ist, stehen jedoch noch weitere und zeitnah entstandene
kurze Entwürfe, die das Konzept der vier Gewissensarten ihrerseits und unab-
hängig von den ,bernhardischen‘ verwenden. Auch diese sollen im Folgenden
diskutiert und - sofern noch nicht geschehen - ediert werden.
Dass es neben den im Folgenden vorzustellenden Schriften weitere motivisch
entsprechende gab und noch gibt, die mir unbekannt blieben, ist wahrscheinlich.
Dennoch sprechen bereits die hier zusammengestellten Textzeugen in ihrer Ge-
samtheit nicht nur für die Virulenz der Gewissensfrage im 12. Jahrhundert. Sie
legen überdies nahe, dass das in ihnen entwickelte Ordnungsschema von vier in
einer Kreuzklassifikation verbundenen Gewissensarten Aktualität besaß.
Als ein erstes Ziel dieser Arbeit wird die Verortung aller mir bekannten Text-
zeugen des Motivs in den Diskursen ihrer Zeit angestrebt; hierdurch soll zugleich
ein Schritt hin zu einer umfassenderen Rezeptionsgeschichte des Konzepts der
vier korrespondierenden Gewissensarten gegangen werden. Mit einer solchen
Geschichte soll für einen kleinen und überschaubaren Bereich gezeigt werden, in
welchem Maße die vita religiosa des Hohen Mittelalters, in der jene Entwürfe der
vier Gewissensarten entstanden, innovativ zu wirken vermochte.21
20 Vgl. hierzu die Einschätzung von P. Hadot, Philosophie als Lebensform, S. 170-2.
21 Vgl. zur Innovationskraft der vita religiosa G. Melville, Im Spannungsfeld sowie die Beiträge
des von Melville, Schneidmüller und Weinfurter herausgegebenen Sammelbandes Inno-
vationen durch Deuten und Gestalten.
 
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