2.1 Begriffliche Traditionen: Syneidesis, Conscientia, Synderesis, Gewissen 25
Ein klarer Schwerpunkt kommt forensischen Bildern zu:21 So begegnet die
conscientia als innerer Zeuge aller Taten22, als Anklägerin23, als Richter24, Urteils-
akt25 oder Urteil („iudicium conscientiae“)26 selbst. Insofern es all diese Funktio-
nenen in sich vereint, wird das Gewissen zum Abgeordneten27 oder Botschafter
Gottes im Menschen; die Rede ist vom Gewissen als natürlichem Gesetz.28 Das
Bild vom forum internum oder sogar ausdrücklich vom Forum des Gewissens
verweist in aller Deulichkeit auf seine Herkunft aus der Rechtssprache.29 Das auf
Quintillian (f ca. 96) zurückzuführende Diktum, wonach die conscientia so
gut wie tausend Zeugen sei, offenbart deutlich den Bezug zur Gerichtsrede.30 In
diesen Zusammenhang gehört auch die Metaphorisierung des Gewissens als
Buch. Ein solches habe der Mensch beim Jüngsten Gericht als Zeugnis seines
Lebens und Grundlage des zu fällenden Urteilsspruchs vorzulegen. Entspre-
21 Hierzu systematisch: B. Hennig, Conscientia, S. 96-104. Vgl. ergänzend zu den im Folgenden
angeführten Beispielen die von R. Lindeman, Der Begriff der conscience, S. 40, genannten. Ei-
nige Schlaglichter auf den italienischen Humanismus wirft Ch. Trinkaus, Italian Humanism,
S. 456 (Leonardo Bruni, f 1444) und S. 458 (Marsilio Ficino, f 1499). Zahlreiche, vor allem
englische Autoren des 16. und 17. Jhs. bei D. R. Klinck, Conscience, Equity, passim.
22 Vgl. eine Übersicht von Quellen bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 70f. Für die Dauerhaftigkeit
des Motivs sprechen seine Präsenz schon bei Cicero, Pro Cluentio, 159, und noch bei Bossuet,
vgl. R. Lindemann, Der Begriff der conscience, S. 87.
23 iudicis tribunal est in mente tua; sedet ibi Deus, adest accusatrix conscientia, tortor ti-
mor.“ Augustinus, Enarrationes in Psalmos, In Psalmum LVII.2, S. 709. Vgl. auch die Über-
sicht der Quellen bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 66, Anm. 27.
24 „Cogente etiam conscientia, tu ipse eris accusator et judex tuns.“ De interiori domo, cap. XXII
(46), Sp. 531 D-532 A und öfters. Für Luther galt: „Conscientia enim non est virtus operandi,
sed virtus iudicandi [...].“ M. Luther, De votis monasticis, in: WA 8, S. 606. Vgl. hierzu J. Stel-
zenberger, Syneidesis, Conscientia, Gewissen, S. 94f.; M. G. Baylor, Action and Person, S. 154
sowie Th. Kobusch, Christliche Philosophie, S. 119f. Für Kant ist es „die sich selbst richtende
moralische Urteilskraft“. I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,
IV.2, § 4, S. 251.
25 So bei Christian Wolff (f 1754): „Nonnulli conscientiam vocant ipsum actum judicandi, seu
judicium de actionum moralitate Chr. Wolff, Philosophia practica universalis (1738),
pars 1, cap. V, § 417, S. 318.
26 So Origenes in seinem Kommentar zum Römerbrief, vgl. J. Müller, Willensschwäche, S. 248,
Anm. 7.
27 [...] eile est dans Farne de l’homme une espece de Delegue, par lequel Dieu exerce tous ces actes
de temoin, de juge, et d’executeur ses des arrets.“ D. Martin, Traite de la Religion Naturelle,
cap. 10, S. 420. Zu diesem Text vgl. noch unten im Kapitel 6.2 e). Von einem „Ambassadour“
Gottes spricht zum Beispiel Anthony Cade: A Sermon necessary for these Times, S. 36, vgl.
unten im Kapitel 6.2 d).
28 So bei Jacques Lobbet, vgl. unten S. 319, Anm. 405.
29 Vgl. B. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 169-216.
30 „Conscientia mille testes.“ Quintillian, Institutionis oratoriae, lib. V, cap. 11.41.
Ein klarer Schwerpunkt kommt forensischen Bildern zu:21 So begegnet die
conscientia als innerer Zeuge aller Taten22, als Anklägerin23, als Richter24, Urteils-
akt25 oder Urteil („iudicium conscientiae“)26 selbst. Insofern es all diese Funktio-
nenen in sich vereint, wird das Gewissen zum Abgeordneten27 oder Botschafter
Gottes im Menschen; die Rede ist vom Gewissen als natürlichem Gesetz.28 Das
Bild vom forum internum oder sogar ausdrücklich vom Forum des Gewissens
verweist in aller Deulichkeit auf seine Herkunft aus der Rechtssprache.29 Das auf
Quintillian (f ca. 96) zurückzuführende Diktum, wonach die conscientia so
gut wie tausend Zeugen sei, offenbart deutlich den Bezug zur Gerichtsrede.30 In
diesen Zusammenhang gehört auch die Metaphorisierung des Gewissens als
Buch. Ein solches habe der Mensch beim Jüngsten Gericht als Zeugnis seines
Lebens und Grundlage des zu fällenden Urteilsspruchs vorzulegen. Entspre-
21 Hierzu systematisch: B. Hennig, Conscientia, S. 96-104. Vgl. ergänzend zu den im Folgenden
angeführten Beispielen die von R. Lindeman, Der Begriff der conscience, S. 40, genannten. Ei-
nige Schlaglichter auf den italienischen Humanismus wirft Ch. Trinkaus, Italian Humanism,
S. 456 (Leonardo Bruni, f 1444) und S. 458 (Marsilio Ficino, f 1499). Zahlreiche, vor allem
englische Autoren des 16. und 17. Jhs. bei D. R. Klinck, Conscience, Equity, passim.
22 Vgl. eine Übersicht von Quellen bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 70f. Für die Dauerhaftigkeit
des Motivs sprechen seine Präsenz schon bei Cicero, Pro Cluentio, 159, und noch bei Bossuet,
vgl. R. Lindemann, Der Begriff der conscience, S. 87.
23 iudicis tribunal est in mente tua; sedet ibi Deus, adest accusatrix conscientia, tortor ti-
mor.“ Augustinus, Enarrationes in Psalmos, In Psalmum LVII.2, S. 709. Vgl. auch die Über-
sicht der Quellen bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 66, Anm. 27.
24 „Cogente etiam conscientia, tu ipse eris accusator et judex tuns.“ De interiori domo, cap. XXII
(46), Sp. 531 D-532 A und öfters. Für Luther galt: „Conscientia enim non est virtus operandi,
sed virtus iudicandi [...].“ M. Luther, De votis monasticis, in: WA 8, S. 606. Vgl. hierzu J. Stel-
zenberger, Syneidesis, Conscientia, Gewissen, S. 94f.; M. G. Baylor, Action and Person, S. 154
sowie Th. Kobusch, Christliche Philosophie, S. 119f. Für Kant ist es „die sich selbst richtende
moralische Urteilskraft“. I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,
IV.2, § 4, S. 251.
25 So bei Christian Wolff (f 1754): „Nonnulli conscientiam vocant ipsum actum judicandi, seu
judicium de actionum moralitate Chr. Wolff, Philosophia practica universalis (1738),
pars 1, cap. V, § 417, S. 318.
26 So Origenes in seinem Kommentar zum Römerbrief, vgl. J. Müller, Willensschwäche, S. 248,
Anm. 7.
27 [...] eile est dans Farne de l’homme une espece de Delegue, par lequel Dieu exerce tous ces actes
de temoin, de juge, et d’executeur ses des arrets.“ D. Martin, Traite de la Religion Naturelle,
cap. 10, S. 420. Zu diesem Text vgl. noch unten im Kapitel 6.2 e). Von einem „Ambassadour“
Gottes spricht zum Beispiel Anthony Cade: A Sermon necessary for these Times, S. 36, vgl.
unten im Kapitel 6.2 d).
28 So bei Jacques Lobbet, vgl. unten S. 319, Anm. 405.
29 Vgl. B. Fries, Forum in der Rechtssprache, S. 169-216.
30 „Conscientia mille testes.“ Quintillian, Institutionis oratoriae, lib. V, cap. 11.41.