2.1 Begriffliche Traditionen: Syneidesis, Conscientia, Synderesis, Gewissen 27
Clairvaux das Gewissen als Bauch oder Magen.40 Philipp der Kanzler (f 1236)
verwendet das Gleichnis vom Gewissen als Gebärmutter.41
Womit man es hier zu tun hat, kann also als eine doppelte Metaphorik be-
schrieben werden: So ist,Gewissen* ja an und für sich bereits ein metaphorischer
Ausdruck, mit dem eine Instanz des menschlichen Bewusstseins bezeichnet wird,
die - selbst wenn man sie nicht zu lokalisieren versucht - funktional gesondert
und eigenständig gedacht wird. Dabei ist es nicht uninteressant zu sehen, dass
selbst in der Hirnforschung Aussagen über den Sitz des Gewissens im Menschen
getroffen werden.42 Die Fokussierung dieser ,Instanz* in den oben genannten
Weisen ist somit kein Spiel um das beste Bildwort, sondern nur der zweite Schritt
eines Bemühens um Verstehen und - von diesem nicht zu trennen - Verständlich-
machen. Die verwendeten Metaphern haben hier - mit Harald Weinrich ge-
sprochen - den „Wert von Denkmodellen“ ,43
Je nach Diskurszusammenhang lässt sich aus den angeführten Beschreibungs-
mustern das Gewissen unter anderem als Grundbefindlichkeit des Men-
schen, als eine a priori im Menschen verankerte moralische Instanz, als
ein Mitwissen vorgängiger Normen, als eine Ordnungskategorie, als
ein Erinnerungsträger, als eine Kontrollfunktion oder als eine Be-
wusstseinsinstanz begreifen.
Anders als beim deutschen Terminus ,Gewissen*, für den eine bis auf den
St. Galier Mönch Notker Labeo (f 1022) zurückzuverfolgende eigene etymolo-
gische Tradition besteht,44 lässt in den romanischen Sprachen, aber auch in dem
40 Vom „Bauch des Gewissens“ spricht Augustinus in seinen Vorträgen über das Johannes-Evan-
gelium: „Venter interioris hominis conscientia cordis est.“ Augustinus, In lohannis evangeli-
um tractatus CXXIV, tr. 32.4, S. 30If. Ebenso auch in seinen Predigten zum Alten Testament:
Augustinus, Sermones de vetere Testamente), Sermo XLVIIA1, S. 581. Generell zum Begriff
des Gewissens als Inneres des Menschen vgl. die Belege s.v. „Conscientia III: intus hominis“, in:
Thesaurus linguae latinae, Bd. 4, Sp. 366-8. In kritischer Auseinandersetzung hiermit B. Hen-
nig, Conscientia, S. 111-3. Bernhard kennt den „Magen des Gewissens“: „Accedat cibo boni
operis orationis potus, componens in stomacho conscientiae quod bene gestum est, et com-
mendans Deo.“ Bernhard von Clairvaux, Sermo super Cantica canticorum XVIII, cap. III
(5), in: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 262.
41 „Uterus est conscientia, panis in utero in fei conuertitur quando conscientia de preterita delec-
tatione torquetur.“ Philipp der Kanzler, Summa super Psalterium, In Psalmo LXXIX, Sermo
CLXXII, S. 412.
42 „Der orbitofrontale Cortex läßt sich also durchaus als Sitz der ,höchsten moralischen Instanz'
eines Individuums ansehen [...] Man könnte ihn deshalb auch als Sitz des ,Gewissens' bzw. des
,Über-Ich‘ im Sinne Freuds ansehen.“ G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 284. Zur ,Veror-
tung' des Gewissens vgl. auch J.-G. Blühdorn, „ Gewissen“, S. 211.
43 H. Weinrich, Typen der Gedächtnismetaphorik, S. 26.
44 Vgl. hierzu das umfangreiche Material bei J. u. W. Grimm, „ Gewissen IV“. Zum Gotischen mip-
wissei der Wulfila-Bibel, das ja die dem lateinischen und griechischen entsprechende Etymologie
Clairvaux das Gewissen als Bauch oder Magen.40 Philipp der Kanzler (f 1236)
verwendet das Gleichnis vom Gewissen als Gebärmutter.41
Womit man es hier zu tun hat, kann also als eine doppelte Metaphorik be-
schrieben werden: So ist,Gewissen* ja an und für sich bereits ein metaphorischer
Ausdruck, mit dem eine Instanz des menschlichen Bewusstseins bezeichnet wird,
die - selbst wenn man sie nicht zu lokalisieren versucht - funktional gesondert
und eigenständig gedacht wird. Dabei ist es nicht uninteressant zu sehen, dass
selbst in der Hirnforschung Aussagen über den Sitz des Gewissens im Menschen
getroffen werden.42 Die Fokussierung dieser ,Instanz* in den oben genannten
Weisen ist somit kein Spiel um das beste Bildwort, sondern nur der zweite Schritt
eines Bemühens um Verstehen und - von diesem nicht zu trennen - Verständlich-
machen. Die verwendeten Metaphern haben hier - mit Harald Weinrich ge-
sprochen - den „Wert von Denkmodellen“ ,43
Je nach Diskurszusammenhang lässt sich aus den angeführten Beschreibungs-
mustern das Gewissen unter anderem als Grundbefindlichkeit des Men-
schen, als eine a priori im Menschen verankerte moralische Instanz, als
ein Mitwissen vorgängiger Normen, als eine Ordnungskategorie, als
ein Erinnerungsträger, als eine Kontrollfunktion oder als eine Be-
wusstseinsinstanz begreifen.
Anders als beim deutschen Terminus ,Gewissen*, für den eine bis auf den
St. Galier Mönch Notker Labeo (f 1022) zurückzuverfolgende eigene etymolo-
gische Tradition besteht,44 lässt in den romanischen Sprachen, aber auch in dem
40 Vom „Bauch des Gewissens“ spricht Augustinus in seinen Vorträgen über das Johannes-Evan-
gelium: „Venter interioris hominis conscientia cordis est.“ Augustinus, In lohannis evangeli-
um tractatus CXXIV, tr. 32.4, S. 30If. Ebenso auch in seinen Predigten zum Alten Testament:
Augustinus, Sermones de vetere Testamente), Sermo XLVIIA1, S. 581. Generell zum Begriff
des Gewissens als Inneres des Menschen vgl. die Belege s.v. „Conscientia III: intus hominis“, in:
Thesaurus linguae latinae, Bd. 4, Sp. 366-8. In kritischer Auseinandersetzung hiermit B. Hen-
nig, Conscientia, S. 111-3. Bernhard kennt den „Magen des Gewissens“: „Accedat cibo boni
operis orationis potus, componens in stomacho conscientiae quod bene gestum est, et com-
mendans Deo.“ Bernhard von Clairvaux, Sermo super Cantica canticorum XVIII, cap. III
(5), in: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 262.
41 „Uterus est conscientia, panis in utero in fei conuertitur quando conscientia de preterita delec-
tatione torquetur.“ Philipp der Kanzler, Summa super Psalterium, In Psalmo LXXIX, Sermo
CLXXII, S. 412.
42 „Der orbitofrontale Cortex läßt sich also durchaus als Sitz der ,höchsten moralischen Instanz'
eines Individuums ansehen [...] Man könnte ihn deshalb auch als Sitz des ,Gewissens' bzw. des
,Über-Ich‘ im Sinne Freuds ansehen.“ G. Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 284. Zur ,Veror-
tung' des Gewissens vgl. auch J.-G. Blühdorn, „ Gewissen“, S. 211.
43 H. Weinrich, Typen der Gedächtnismetaphorik, S. 26.
44 Vgl. hierzu das umfangreiche Material bei J. u. W. Grimm, „ Gewissen IV“. Zum Gotischen mip-
wissei der Wulfila-Bibel, das ja die dem lateinischen und griechischen entsprechende Etymologie