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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0032
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2.2 Erkenntnisinteressen: Philosophie und Seelsorge

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Und doch handelte es sich bei dieser Doppelung rückblickend um einen „be-
griffs- und problemgeschichtlichen Glücksfall“57, wurde doch nun in den Schu-
len neben dem genuin lateinischen conscientia?* der dem Griechischen entlehnte
Begriff der synderesis eingeführt, dem man dabei eine eigene und von conscientia
unterscheidbare Semantik zusprach.59 Die analytische Scheidung in eine habitu-
elle Gewissensanlage {synderesis), die gleichsam zur Disposition des Menschen
gehört, auf der einen und in konkrete Gewissensakte {conscientia) auf der ande-
ren Seite wurde zu einem Grundmotiv, das in den folgenden Debatten allgemeine
Anerkennung fand,60 und, wie Honnefelder anmerkte, das Gewissen als sol-
ches „zu einem maßgeblichen Moment des europäischen Bewußtseins“ werden
ließ.61 Die Formulierung des Thomas von Aquin (f 1274), dem zufolge mit
conscientia die Anwendung eines Wissens auf den konkreten Akt bezeichnet
wird,62 lässt sich als eigene Text- und Denkspur bis zu Kant (f 1804) und darü-
ber hinaus verfolgen.63
Auf diesem Wege konnten somit Diskussionen, die bereits vor dem Auftau-
chen des neuen Vokabulars geführt wurden, nun mit präziseren Begriffen fort-
57 So die Formulierung sowohl bei L. Honnefelder, Conscientia sive ratio, S. 10, als auch bei J.
Müller, Zwischen Vernunft und Willen, S. 44.
58 Zur Frage der Unabhängigkeit des lateinischen conscientia vgl. oben S. 23, Anm. 12.
59 Vgl. hierzu J. Müller, Willensschwäche, S. 294f. T. Potts, Conscience in Medieval Philosophy,
S. 32, weist darauf hin, dass dies zur Zeit Bonaventuras üblich („customary“) gewesen sei.
60 Vgl. hierzu T. Potts, Conscience-, J. Müller, Zwischen Vernunft und Willen, mit Verweisen auf
weitere Literatur.
61 „Die im Mittelalter sich ausbildende Theorie der synderesis erlaubt es, die bis dahin eher aske-
tisch-pastoral akzentuierte Rede von der conscientia auf den Begriff zu bringen und damit den
ethischen Rang in Erscheinung treten zu lassen, unter dem Gewissen zu einem maßgeblichen
Moment des europäischen Bewußtseins wird.“ L. Honnefelder, Conscientia sive Ratio, S. llf.
62 „Respondeo dicendum quod conscientia, proprie loquendo, non est potentia, sed actus. Et hoc
patet tum ex ratione nominis, tum etiam ex his quae secundum communem usum loquendi,
conscientiae attribuuntur. Conscientia enim, secundum proprietatem vocabuli, importat ordi-
nem scientiae ad aliquid, nam conscientia dicitur cum alio scientia. Applicatio autem scientiae
ad aliquid fit per aliquem actum.“ Thomas von Aquin, Summa theologia, Ia, qu. 79, a. 13 co,
ed. R. Busa, Bd. 2, S. 303 a. Vgl. hierzu B. Hennig, Conscientia, S, 140f., sowie jüngst M. Per-
kams, Gesetz und Gewissen, S. 129.
63 So heißt es - um nur einen Text anzuführen - im Jean Gerson zugeschriebenen Compendium
theologiae'. „Etenim conscientia proprie loquendo nihil aliud est quam applicatio qusedam seu
ordinatio scientia: ad aliquem actum.“ Compendium theologiae, Sp. 399. Bei Kant heißt dies
dann: „Das Gesetz in uns heißt Gewissen. Das Gewissen ist eigentlich die Applikation unserer
Handlungen auf dieses Gesetz.“ I. Kant, Pädagogik, S. 495. Maximilian Forschner sieht in
Thomas den profiliertesten Vertreter des Nachdenkens über das Gewissen: „Die systematisch
klarste, differenzierteste und, wie mir scheint, nach wie vor überzeugendste Theorie des Gewis-
sens hat [...] Thomas von Aquin vorgelegt. Im Vergleich zu ihm ist die Behandlung des Themas
bei neuzeitlichen Klassikern, etwa bei Rousseau, Kant oder Mill von deutlich nachgeordnetem
Rang.“ M. Forschner, Stoische Oikeiosislehre, S. 128.
 
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