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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0045
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2. Gegenstand: Das Gewissen

primären Texte, in denen das Grundmotiv entwickelt ist, wird in den jeweiligen
Abschnitten zu diesen hingewiesen. In vielen Punkten gehen diese sechs ,Ur-
sprungstexte‘ jedoch konform. In allen werden die gleichen Ausprägungen be-
nannt: eine conscientia bona et tranquilla, eine bona et turbata, eine mala et tran-
quilla und eine mala et turbata. Gegenübergestellt werden somit zwei positive
zwei negativen Gewissenstypen, wobei die Ruhe oder Unruhe des guten wie des
schlechten Gewissens als spezifische Differenz fungiert.
Die Frage einer möglichen Objektivierbarkeit dieser Qualifizierungen ist
dabei nicht eindeutig zu beantworten: So kann die Diagnose über Gutheit oder
Schlechtigkeit des Gewissens als ein Werturteil verstanden werden, wobei zu-
gleich diejenige über dessen Ruhe oder Unruhe eine objektivierbare Tatsachen-
feststellung darstellt. Die Unterscheidung von Ruhe und Unruhe wird gerade
auch dann als sachlich angemessen verstanden, wenn sie vom Menschen für sich
selbst getroffen wird, da das Maß der Bewegtheit des eigenen Gewissens für ihn
selbst evident ist, auch wenn er andere über seine innere Befindlichkeit sehr wohl
zu täuschen vermag. Ebenso kann aber auch das Urteil über die Gutheit oder
Schlechtigkeit des Gewissens als ein objektives verstanden werden, wobei wiede-
rum Einschätzungen über Ruhe oder Unruhe als subjektive, weil nicht verall-
gemeinerbare Aussagen über den Zustand des Gewissens getroffen werden. In
diesem Spannungsfeld bewegen sich auch die nachfolgend vorzustellenden
Aktualisierungen des Motivs der vier Gewissensarten, die im Kapitel zu dessen
Rezeptionen und Wirkungen vorgestellt werden.
Innerhalb der Vierergruppe nimmt das gute und ruhige Gewissen den hierar-
chisch höchsten Rang ein, doch sei es, wie der Traktat Von den vier Arten der
Gewissen unter Rückgriff auf Iuvenal anmerkt, in dieser Welt nur selten anzu-
treffen.112 Es ist jedoch eine Möglichkeit, die mitgedacht werden muss, weil mit
ihr der Zustand einer idealen conscientia zum Ausdruck gebracht wird. Weitaus
häufiger finde man hingegen das wohl gute, aber dennoch unruhige Gewissen.
Seine Unruhe resultiert aus der Unsicherheit des Menschen, ob er denn wirklich
den an ihn gestellten Ansprüchen genügt. Die täglichen Anfechtungen bewegen

112 „Rara avis in terris huiusmodi conscientia, sed quanto rarior, tanto carior apud Deum.“ De
quattuor modis conscientiarum, cap. II. 1. S. 190, Z. 6f. Die gleiche Charakterisierung als „rara
avis“ findet sich in der 124. Sentenz Bernhards von Clairvaux aus dessen dritter Sentenzen-
sammlung für diejenigen, die er als in höchstem Maße gute Menschen innerhalb der von ihm
beschriebenen „quattuor genera hominis“ identifiziert: „Rara tarnen avis est in terris quae hunc
possit transire profectum.“ Jene nämlich, die sich Gott nicht nur so denken, wie sie selbst sind,
sondern welche zudem bereits die hierfür nötige Einfachheit (simplicitas) erreicht haben. Bern-
hard von Clairvaux, III Sent 124, in: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 732. Vgl. hierzu unten S. 63,
Anm. 14.
 
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