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2. Gegenstand: Das Gewissen
im Hinblick auf ihre Verstrickung mit der Sünde. Hintergrund war seine Frage
nach dem Nutzen von Fürbitten während der Zeit nach dem Tode des Menschen:
„Es gibt nämlich Menschen, deren Lebensführung nicht gut genug ist, so dass sie
diese [Fürbitten] nach ihrem Tode nicht nötig hätten, und auch wieder nicht schlecht
genug, so dass sie ihnen nichts nützen könnte. Dagegen gibt es andere, deren Leben
so im Guten begründet war, dass sie nicht darauf angewiesen sind, und wieder an-
dere, deren Leben so im Bösen verwurzelt war, dass sie ihnen nach ihrem Tode
nichts mehr nützen können.“117
Zwar ist dieses Differenzierung in erster Linie auf die Frage nach Zustand der
Seelen zwischen individuellem Tod und Jüngsten Gericht bezogen, doch ähnelt
das Viererschema von guten, schlechten, nicht ganz guten und nicht ganz schlech-
ten Menschen durchaus demjenigen der vier Gewissensarten. Eine entsprechende
Tradition des augustinischen Modells ist auch deshalb nicht von der Hand zu
weisen ist, weil dieses Prägekraft bis ins Hohe Mittelalter hinein besaß.118
Das Gewissensschema der vier korrespondierenden Arten selbst wurde, wie
im nachfolgenden Abschnitt über Rezeptionen und Wirkungen zu zeigen ist,
vielfach aufgegriffen. Seine Kapazität resultiert dabei nicht zuletzt aus seiner An-
schlussfähigkeit für alle denkbaren Formen oder Zustände des Gewissens. Diese
Möglichkeit ergibt sich dabei aus der doppelt binären Relationalität des Modells:
Die erste Relation ist auf die Wertordnung hin orientiert. ,Gut‘ und ,Schlecht‘
sind somit Ausdruck für die Bezogenheit menschlicher Handlungen und Gedan-
ken auf die normativ geltende Ordnung. Gut ist das Gewissen folglich, wenn die
überdachten Handlungen oder Gedanken auf diese Ordnung bezogen sind,
schlecht ist es dann, wenn diese Orientierung fehlt. Die zweite Relation nun ist
auf die erste hin orientiert: ,Ruhe‘ oder ,Unruhe‘ sind Ausdruck für die individu-
elle Befindlichkeit des Einzelnen vor dem Hintergrund der Bezogenheit des eige-
nen Handelns und Denkens auf eine normative Ordnung. Durch diese doppelte
Bezogenheit - auf das Ganze und auf das je Eigene - gewinnt dieses Modell seine
außerordentliche Kapazität, sich gegenüber ganz verschiedenen Wertordnungen
als anschlussfähig zu erweisen. Erweiterungen hingegen, wie sie sich beispiels-
117 „Est enim quidam vivendi modus, nec tarn bonus ut non requirat ista post mortem, nec tarn
malus ut ei non prosint ista post mortem; est vero talis in bono ut ista non requirat, et est rursus
talis in malo ut nec his valeat cum ex hac vita transierit adiuvari.“ Augustinus, Enchiridion,
cap. XXIX (110), S. 108. Übersetzung: S. 183. Vgl. zum Zusammenhang J. Le Goff, Die Ge-
burt des Fegefeuers, S. 92, 96f.
118 Vgl. zur Bedeutung der augustinischen Formulierungen T. Lohse, Religiöses Verdienst und
weltliche Ambitionen, S. 28f., A. Angenendt, ,In portu ecclesiae sepultus‘, S. 68f., mit jeweils
weiteren Hinweisen.
2. Gegenstand: Das Gewissen
im Hinblick auf ihre Verstrickung mit der Sünde. Hintergrund war seine Frage
nach dem Nutzen von Fürbitten während der Zeit nach dem Tode des Menschen:
„Es gibt nämlich Menschen, deren Lebensführung nicht gut genug ist, so dass sie
diese [Fürbitten] nach ihrem Tode nicht nötig hätten, und auch wieder nicht schlecht
genug, so dass sie ihnen nichts nützen könnte. Dagegen gibt es andere, deren Leben
so im Guten begründet war, dass sie nicht darauf angewiesen sind, und wieder an-
dere, deren Leben so im Bösen verwurzelt war, dass sie ihnen nach ihrem Tode
nichts mehr nützen können.“117
Zwar ist dieses Differenzierung in erster Linie auf die Frage nach Zustand der
Seelen zwischen individuellem Tod und Jüngsten Gericht bezogen, doch ähnelt
das Viererschema von guten, schlechten, nicht ganz guten und nicht ganz schlech-
ten Menschen durchaus demjenigen der vier Gewissensarten. Eine entsprechende
Tradition des augustinischen Modells ist auch deshalb nicht von der Hand zu
weisen ist, weil dieses Prägekraft bis ins Hohe Mittelalter hinein besaß.118
Das Gewissensschema der vier korrespondierenden Arten selbst wurde, wie
im nachfolgenden Abschnitt über Rezeptionen und Wirkungen zu zeigen ist,
vielfach aufgegriffen. Seine Kapazität resultiert dabei nicht zuletzt aus seiner An-
schlussfähigkeit für alle denkbaren Formen oder Zustände des Gewissens. Diese
Möglichkeit ergibt sich dabei aus der doppelt binären Relationalität des Modells:
Die erste Relation ist auf die Wertordnung hin orientiert. ,Gut‘ und ,Schlecht‘
sind somit Ausdruck für die Bezogenheit menschlicher Handlungen und Gedan-
ken auf die normativ geltende Ordnung. Gut ist das Gewissen folglich, wenn die
überdachten Handlungen oder Gedanken auf diese Ordnung bezogen sind,
schlecht ist es dann, wenn diese Orientierung fehlt. Die zweite Relation nun ist
auf die erste hin orientiert: ,Ruhe‘ oder ,Unruhe‘ sind Ausdruck für die individu-
elle Befindlichkeit des Einzelnen vor dem Hintergrund der Bezogenheit des eige-
nen Handelns und Denkens auf eine normative Ordnung. Durch diese doppelte
Bezogenheit - auf das Ganze und auf das je Eigene - gewinnt dieses Modell seine
außerordentliche Kapazität, sich gegenüber ganz verschiedenen Wertordnungen
als anschlussfähig zu erweisen. Erweiterungen hingegen, wie sie sich beispiels-
117 „Est enim quidam vivendi modus, nec tarn bonus ut non requirat ista post mortem, nec tarn
malus ut ei non prosint ista post mortem; est vero talis in bono ut ista non requirat, et est rursus
talis in malo ut nec his valeat cum ex hac vita transierit adiuvari.“ Augustinus, Enchiridion,
cap. XXIX (110), S. 108. Übersetzung: S. 183. Vgl. zum Zusammenhang J. Le Goff, Die Ge-
burt des Fegefeuers, S. 92, 96f.
118 Vgl. zur Bedeutung der augustinischen Formulierungen T. Lohse, Religiöses Verdienst und
weltliche Ambitionen, S. 28f., A. Angenendt, ,In portu ecclesiae sepultus‘, S. 68f., mit jeweils
weiteren Hinweisen.