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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0054
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2.3 Systematisierungen: Ordnungen der Gewissensarten

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heißt es im Compendium theologiae, und weil sie häufig irrten, würden daraus
Gewissensfurcht und Skrupel erwachsen.149
Derartige Phänomene von Zweifel und Unsicherheit waren in der ostkirch-
lichen Tradition nicht bekannt und auch in der lateinischen Christenheit bis ins
Hohe Mittelalter hinein eher untypisch.150 Im Westen wurden sie jedoch seit dem
12. Jahrhunderts zu immer dominanteren Faktoren einer intellektuellen Ausein-
andersetzung des Menschen mit seinen Heilschancen. Entsprechende Fragen
wurden im Rahmen der geistlichen Literatur thematisiert und erfuhren auch in-
nerhalb theologischer Summen eine ebenso systematische wie breite Behand-
lung.151 Auf die Fülle von Trostbüchern im späten Mittelalter, die den geängstig-
ten Gewissen Trost spenden sollten,152 folgte eine Blüte kasuistischer Literatur im
17. Jahrhundert, in denen Strategien zu einer formalisierten Gewissensentlastung
entworfen sind.153 Scrupulositas und die aus ihr erwachsene conscientia scrupulosa
gehörten zu den zentralen Motiven der Religiosität des späten Mittelalters und
dominierten die sich entwickelnde Moraltheologie über lange Zeit hinweg.154
Verschiedene Kombinationen von Gewissensarten
Die bisher vorgestellten Differenzkriterien zur Unterscheidung verschiedener
Arten des Gewissens in Bezug auf die zeitliche Orientierung oder den Grad der
Sicherheit seiner Urteile zeichneten sich nicht zuletzt durch ihre Kompatibilität
aus. Die Entscheidungen der conscientia können zugleich vergangene Handlun-

S. 169 a. Hunolt widmet diesem Punkt noch eine eigene Predigt an „diejenige[n]/ welche in
der Erforschung sich schuldiger ansehen/ als sie in der That seynd [..F. Hunolt, Zwanzigs-
te Predig. Von der Redlichkeit der Erforschung des Gewissens, Vortrag, ebd., S. 172.
149 Compendium theologiae, Sp. 400.
150 J. Delumeau, Sin and Fear, S. 315, unter Bezug auf Emmanuel Mounier.
151 Vgl. neben den von S. Grosse, Heilsungewißheit, untersuchten Texten zum Beispiel auch den
folgenden in Mainz, Stadtbibliothek, MS I 306, 258r-258v überlieferten Text:
De scrupulosa conscientia. Item scrupulositas non bonum quando aliquis de levibus peccatis
vel quacumque causa scrupulosam habet conscientiam, quia quod non est peccatum ex se pec-
catum sit per scrupulosam conscientiam. Quicquid enim contra conscientiam est, peccatum est;
nec potest percipere gratiam, qui talem conscientiam habet. Item, quia non habitat Deus in mala
et in inquieta conscientia, sed in pacifica, est, quia in pace sanctus est, locus eius. [...]
Ebenfalls überliefert in: Mainz, Stadtbibliothek, MS I 170, 110r—1 llr, vgl. Katalog Mainz 2,
S. 102; Darmstadt, ULB, MS 673, 94v, vgl. Katalog Darmstadt 4, S. 158. Eine Edition dieses
kurzen Traktats ist in Vorbereitung.
152 Vgl. beispielhaft das nachfolgend noch zu behandelnde Consolatorium timorate conscientie des
Johannes Nider.
153 Vgl. zur Fülle der kasuistischen Literatur unten S. 236 und 290.
154 Vgl. S. Grosse, Heilsungewißheit', M. W. F. Stone, Scrupulosity and Conscience, S. 3-6;
J. Delumeau, Sin and Fear, v. a. S. 314-21; Ders., L’aveu et le pardon, S. 109-21; ebenso die
breite Übersicht bei Ph. Delhaye, Leprobleme, S. 77-9; W. Werbeck, Vora^ssetz^ragera.
 
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