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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0062
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3.1 Bernhard von Clairvaux: De quadruplici conscientia

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gäbe der Opera omnia Bernhards deutlich, in der im Anschluss an eine Gruppe
von 67 Parvi et varii sermones noch 16 Alii sermones parvi gedruckt wurden,
deren erste jene über die vier Gewissensarten ist; aus diesen Parvi sermones
wurde noch lange Zeit zitiert.5
Die in den verschiedenen Sermones behandelten Gegenstände sind disparat.
Gerhard Winkler, Herausgeber der lateinisch-deutschen Werkausgabe, er-
kannte die „Forderung nach heilsnotwendiger Selbsterkenntnis“ als eines der für
das bernhardische CEuvre insgesamt zentralen Themen, das seine entsprechende
Präsenz auch in den Sermones de diversis, speziell vor allem in der Predigt Vom
vierfachen Gewissen habe.6
Der Umstand, dass es sich beim Sermo de quadruplici conscientia um den Text
einer Predigt handelt, kommt in diesem selbst nicht zum Tragen - weder wird ein
Kreis von Lesern noch einer von möglichen Hörern angesprochen; eher ist dem
Text in der vorliegenden Form der Charakter einer meditativen Abhandlung eigen:
„Vom vierfachen Gewissen
Kehre dich um, meine Seele, in deine Ruhe (Ps 114.7). Die Seele leidet oder ruht im
Gewissen, denn das eine Gewissen ist gut, doch nicht ruhig, ein anderes ruhig, aber
nicht gut; wieder ein anderes weder ruhig noch gut, und schließlich ein letztes gut und
ruhig. Ruhig, aber nicht gut ist es bei denen, die in Vermessenheit sündigen und in
ihren Herzen sprechen: Gott fordert keine Rechenschaft (Ps 9.34). Das kommt vor
allem bei Jugendlichen vor. Gut, doch nicht ruhig ist es bei denen, die sich bereits zum
Herrn bekehrt haben und ihre Jahre in Bitterkeit überdenken (Is 38.15). Weder gut
noch ruhig ist es bei denen, die wegen der Menge ihrer Sünden verzweifeln; gut und
ruhig bei denen, die das Fleisch dem Geist unterworfen haben und die denen, die den
Frieden hassen, friedfertig begegnen (Ps 119.7). Das ist die Ruhestätte der Seele; darin
findet die Seele Ruhe, doch noch keine vollkommene. Damit sie aber vollkommene
Ruhe finden kann, muß das Gewissen nicht nur gut und ruhig, sondern auch sicher
sein; weshalb hinzugefügt ist: Denn er hat meine Seele dem Rode, meine Augen den
Fränen, meine Füße dem Sturz entrissen (Ps 114.8). Dem Tod [hat er sie entrissen],
indem er ein gutes Gewissen schenkte, den Tränen, indem er ein gutes und ruhiges
Gewissen schenkte, dem Sturz aber, indem er dem Gewissen Sicherheit gab.“7
5 BB 869, Sp. 480. Vgl. zur langen Rezeption unten S. 385, Anm. 691.
6 Unter Verweis auf Sermo CXII G. B. Winkler, Einleitung Sermones de diversis, S. 34. Zur
Selbsterkenntnis als zentralem Thema im Werk Bernhards vgl. A. Maiorino Tuozzi, La ,Co-
noscenza di se‘, S. 15-88.
7 „De quadruplici conscientia. Convertere anima mea in requiem tuam. Laborat et requiescit
anima in conscientia, quia conscientia alia bona et non tranquilla; alia tranquilla et non bona,
alia nec tranquilla nec bona, alia bona et tranquilla. Tranquilla et non bona eorum est qui in spe
peccant et dicunt in corde suo quod Deus non requiret, et ista maxime adolescentium. Bona et
non tranquilla, eorum est qui iam conversi ad Dominum, recogitant annos suos in amaritudine.
Nec bona, nec tranquilla, eorum qui prae multitudine peccatorum desperant. Bona et tranquil-
 
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