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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0087
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4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

4.2 Textgestalt
Verglichen mit jenem nun schon mehrfach erwähnten umfangreichen Gewissens-
traktat Vom inneren Haus präsentiert sich die Textgestalt des hier im Fokus stehenden
Werkes erstaunlich homogen und überaus stabil. Dies ist sicher nicht zuletzt auch
auf die weitaus geringere Dichte der Überlieferung zurückzuführen. Beim Vergleich
der bekannten Handschriften ergibt sich aber rasch das Bild, dass der Traktat in zwei
Textfassungen vorliegt: einer kürzeren (K) und einer längeren (L).
In allen mir bekannten Textzeugen präsentiert sich das Werk als Brieftraktat:
Beginn und Schluss des Textes, die in direkter Anrede an den Leser gerichtet sind,
rahmen eine Erörterung, die, wie der Text nahelegt, vom Empfänger erbeten
wurde. Eine solche Konstellation ist nicht untypisch; so wurde bereits auf Petrus
Cellensis und seinen Brieftraktat an Alcher von Clairvaux hingewiesen.43
Auch im Falle Bernhards von Clairvaux behaupten nicht wenige Traktate eine
derartige causa scribendi: So gibt De precepto et dispensatione vor, auf eine An-
frage von Mönchen aus Chartres zu antworten; mit De moribus et officio episco-
porum (ep. 42) wandte Bernhard sich an Heinrich, den Erzbischof von Sens; De
diltgendo Deo war an den päpstlichen Kanzler Haimerich adressiert.44 Bernhard
wiederum erbat von seinem Ordensbruder Aelred von Rievaulx einen Traktat
über die Liebe, wobei er sogar den Titel, den das Werk tragen sollte - Speculum
caritatis - vorgab.45 Dutzende vergleichbare Fälle wären anzuführen.
Der briefliche Rahmen des Traktats ist auch bei der als Fragment überlieferten
Fassung der Pariser Handschrift (Par) gegeben. Trotz des Fehlens der ersten Ka-
pitel erlaubt das Textende diesen Schluss, da auch hier die aus fast allen Manu-
skripten bekannte Grußformel des „Vale“ zu finden ist. Erst in einigen Druck-
ausgaben des 17. Jahrhunderts wurde der Briefprolog nicht wiedergegeben, wohl
aber die Schlussformel.46
Diese Schlussformel fehlt einzig in zwei Manuskripten: jenem in Avignon (Av)
aufbewahrten und dem aus der Bibliothek von Soissons (Soz). Hier ist jedoch
nicht von einem Verlust von Text auszugehen, da dieser in beiden Fällen nicht
abrupt mitten in einem Satz endet, so dass ein unbeabsichtigtes Ende ausge-
schlossen werden kann. Überdies folgen in beiden Handschriften unmittelbar
jeweils Passagen, die eine Sinneinheit mit dem vorangegangenen Traktat erken-
nen lassen: In der aus Premontre stammenden Handschrift der Bibliotheque mu-
43 Vgl. oben S. 79, Anm. 7.
44 Vgl. zu den Entstehungsumständen nähere Informationen in den jeweiligen editorischen Ein-
leitungen der Texte in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke.
45 Vgl. zu den Umständen der Entstehung meine Studie Der Transfer paränetischer Inhalte, S. 37f.
46 Vgl. 55 918,55 948.
 
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