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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0099
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4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

mittleren drei Werke durchaus als eigene Einheit innerhalb des Codex sehen, die
von Hagiographien und Testamenten gerahmt wird. Dieses Zentrum besteht
neben dem Gewissenstraktat aus dem ebenfalls anonymen Brieftraktat über die
Arten der Liebe sowie dem Confessionale des Dominikaners Antoninus von
Florenz, einem erst wenige Jahre zuvor entstandenen umfangreichen Hand-
buch für Beichtväter. Die drei Texte bilden somit durchaus eine Einheit, als deren
Verbindendes ein seelsorgerliches Bemühen verstanden werden kann.
Besonders deutlich wird die von Müller angesprochene Filterfunktion des
Überlieferungszusammenhangs für die Rezeption der kompilierten Texte am
Beispiel jenes aus der Kartause von Mont-Dieu stammenden, heute in der Muni-
zipalbibliothek von Charleville-Mezieres aufbewahrten Manuskripts 110. Eine
der Eigenheiten dieser Handschrift des 14. Jahrhunderts ist ihre unmittelbare Be-
zogenheit auf den Kartäuserorden. Der Kompilator des Codex stellt hier ein gan-
zes Reservoir an Texten zusammen, die dabei für sich genommen verschiedenen
Genres angehören: Traktate, Mahnschriften, Gebete, Exempel und Predigten.
Unter ihnen sind dabei offenbar sowohl solche Werke, die in dieser Handschrift
unikal tradiert wurden, wie das Speculum infirmorum eines gewissen Gobertus
Cartusiensis,78 als auch solche, die in großer Breite überliefert sind, wie das
Buch über den äußeren und inneren Menschen des Franziskaners David von
Augsburg (f 1272),79 von dem eine Exzerptfassung enthalten ist. Das Besondere
dieser beiden wie auch der anderen Texte ist im gegebenen Zusammenhang ihre
unmittelbare Bezogenheit auf die Kartäuser. Vor allem auch die ursprünglich im
Franziskanerorden entstandene Schrift des David zur religiösen Progression von
dessen Mitgliedern ist hier kartäusisch überformt und den Angehörigen dieses
Ordens deshalb zur Lektüre empfohlen, weil sie Inhalte vermittele, die für Kar-
täuser von herausragender Bedeutung seien.80
Paränetische Literatur wurde in der Regel nie nur innerhalb der institutionel-
len Grenzen religiöser Gruppen und Gemeinschaften rezipiert, sondern sie über-
schritt diese rasch und nach allen Seiten.81 Die Handschrift aus Mont-Dieu ist

78 Über ihn ist nichts Weiteres bekannt. Dom Stanislaus erwähnt ihn in seinen Scriptores sacri
ordinis Cartusiensis als Verfasser des Speculum infirmorum unter Verweis auf diese eine Hand-
schrift: Bd. 2, S. 130.
79 Für dieses Werk konnten bereits die Patres aus Quaracchi auf mehr als 400 Handschriften ver-
weisen - die Gesamtmenge der Überlieferung dürfte noch einmal deutlich höher liegen. Vgl.
David von Augsburg, De exterioris et interioris hominis compositione, S. XX-XXXVI.
80 Vgl. in der nachfolgenden Handschriftenbeschreibung unter n° (9) und (21). Zahlreiche weitere
entsprechende Passagen finden sich innerhalb des ersten Teils von MS 110 vor dem Predigt-
zyklus.
81 Vgl. hierzu M. Breitenstein, Der Transfer paränetischer Inhalte.
 
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