Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0228
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6. REZEPTIONEN UND WIRKUNGEN

Woran bemisst sich der Erfolg eines Textes im Mittelalter? Sicher daran, dass er
gelesen wurde. Doch schon beim Versuch, die Frage nach der Leserschaft zu
beantworten, stößt man im Bereich der Vormoderne auf Hürden, die, weil sie
nicht zu überspringen sind, umso sorgfältiger beachtet werden sollten. Welche
Schlüsse erlaubt das Wissen um die Präsenz eines bestimmten Werkes in einer
Bibliothek? Sicher vermag der Kodikologe durch kundige Autopsie Aussagen
über den mehr oder weniger intensiven Gebrauch eines Buches zu geben. Doch
was sagt es über die mögliche Lektüre eines einzelnen Textes, wenn sein materi-
eller Träger durch viele Hände ging? Zumindest widerspricht ein solcher Befund
nicht von vornherein der Vermutung, dass ein Text in einer solchen gebrauchten*
Handschrift wohl eher gelesen worden sein wird als der in einer, die den An-
schein erweckt, das Skriptorium oder den Buchbinder eben erst verlassen zu
haben. Was aber besagt es, wenn ein Text oft abgeschrieben wurde? In einem
solchen Fall kann man durchaus ein Interesse unterstellen - aber wurde der ko-
pierte Text anschließend auch gelesen? Woher sollte der potentielle Leser wissen,
dass es ihn gibt? Mittelalterliche Bibliothekskataloge sind gerade im Fall literari-
scher Kleinformen nur bedingt aussagekräftig und kaum als Findbuch hilfreich.
Es gibt nicht wenige Texte, die sich gut verstecken.1 Dennoch wird man wohl von
der Frequenz der Überlieferung auch begründete Rückschlüsse auf die Präsenz
eines Werkes innerhalb des geistigen Horizonts einer Zeit schließen dürfen, was
ja für den Erfolg desselben spräche. Damit wird die Überlieferung selbst zum
Indikator für den Erfolg eines Textes, wenn hierdurch auch zunächst nur Aus-
sagen über ein prinzipielles Interesse am Text getroffen werden können.2
Doch gibt es neben solchen allgemeinen durchaus auch speziellere Anzeichen
dafür, dass ein Text Leser fand: Übersetzungen, Kommentierungen oder aus-
drückliche Empfehlungen, Zitate, Bezugnahmen und Adaptionen. Sie alle ver-
weisen darauf, dass mit dem Text gearbeitet wurde, und eine solche Arbeit am
Text setzt voraus, dass man sich auch mit dessen Inhalt beschäftigte. Im Folgen-
den soll versucht werden, einen Überblick solcher Rezeptionsprozesse am Bei-
spiel des Ordnungsschemas der vier Gewissensarten zu gewinnen, um auf diese
Weise dessen Wirkungen und Einflüsse zu beleuchten.
1 Wer, so kann man fragen, würde in einer Handschrift der Summa theologiae des Thomas von
Aquin zusätzlich zwei Mahnschriften für junge Mönche vermuten? So die Konstellation in
München, BSB, Clm 2572, vgl. M. Breitenstein, Die Exhortatio ad iuvenem monachum,
S.211f.
2 Zu diesen Fragen vgl. U. Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften