Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0242
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

241

„Vom vierfachen Gewissen. In gewissen Äußerungen
Die Seele leidet oder ruht im Gewissen, denn das eine Gewissen ist gut, doch nicht
ruhig, ein anderes ruhig, aber nicht gut; wieder ein anderes weder ruhig noch gut,
und schließlich ein letztes gut und ruhig. Ruhig, aber nicht gut ist es bei denen, die
in Vermessenheit sündigen und in ihren Herzen sprechen: Gott fordert keine Re-
chenschaft. Das kommt vor allem bei Jugendlichen vor. Gut, doch nicht ruhig ist es
bei denen, die sich bereits zum Herrn bekehrt haben und ihre Jahre in Bitterkeit
überdenken. Weder gut noch ruhig ist es bei denen, die wegen der Menge ihrer
Sünden verzweifeln; gut und ruhig bei denen, die das Fleisch dem Geist unterwor-
fen haben und die denen, die den Frieden hassen, friedfertig begegnen. Das ist die
Ruhestätte der Seele; darin findet die Seele Ruhe.“62
Während innerhalb der Flores Bernardi bei einer Vielzahl von Kapiteln der jewei-
lige Referenztext des Exzerpts angegeben ist, heißt es im hier interessierenden
Abschnitt, dass der folgende Inhalt „gewissen Äußerungen“ („quibusdam dic-
tis“) entnommen sei. Bei diesen dicta handelt es sich - wie unschwer zu erkennen
- um den gekürzten Text jener Predigt Vom vierfachen Gewissen des Bernhard
von Clairvaux, die oben bereits vorgestellt wurde. Ausgelassen wurde vom
Kompilator der dort zu findende Aspekt der securitas conscientiae.
Sollten die Flores so, wie es die benediktinische Tradition nahelegt,63 im Mar-
tinskloster von Tournai entstanden sein, dann wäre in dieser Konstellation sogar
auf eine konkrete Handschrift der Sermones de diversis zu verweisen, die ihm als
Vorlage gedient haben könnte: das aus dem 12. Jahrhundert stammende, heute in
der Bibliotheque Royale in Brüssel aufbewahrte Manuskript 1434 (21848), in der
eben auch die Predigt Vom vierfachen Gewissen überliefert ist.64 Ein direkter
Textvergleich zwischen dieser möglichen Referenzhandschrift und der Bearbei-
tung des Textes in den Flores scheitert gegenwärtig jedoch noch am ungenügen-
den Kenntnisstand der Textgeschichte und einer mangelnden handschriftlichen
Erschließung der Flores Bernardi.

62 „De quadruplici conscientia. In quibusdam dictis. Laborat et requiescit anima in conscientia:
quia conscientia alia bona et non tranquilla, alia tranquilla et non bona, alia nec tranquilla nec
bona, alia bona et tranquilla. Tranquilla et non bona eorum est qui in spe peccant et dicunt in
corde suo, quod Deus non requiret, et ista maxime adolescentium. Bona et non tranquilla eorum
est qui iam conversi ad Dominum recogitant annos suos in amaritudine. Nec bona nec tranquil-
la eorum qui in multitudine peccatorum desperant. Bona et tranquilla eorum qui carnem spiritui
subdiderunt, qui cum Bis qui oderunt pacem sunt pacifici. Hic est lectus anima , in hoc requiem
capit anima.“ Liber Florum beati Bernardi, Üb. IX, cap. 7, CLVV. Dieser Text entspricht bis in
Details jenem der 112. Predigt De diversis, doch steht für die Flores keine Edition zur Verfügung,
die hier qualifizierte Textvergleiche erlauben würde.
63 Vgl. hierzu M. Bernards, Flores Sancti Bernardi, S. 193.
64 Vgl. oben S. 65, Anm. 27.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften