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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0247
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6. Rezeptionen und Wirkungen

hört dies von Christus und den Aposteln: Ihr aber seid es, die ihr ausgeharrt habt
mit mir in meinen Anfechtungen (Lc 22.28), und jenes aus den Psalmen: Ich bin bei
ihm in der Not (Ps 90.15).
Das dritte ist das schlechte und unruhige [Gewissen], das nicht so sehr die Sünde
selbst fürchtet, als beim Sündigen erkannt zu werden, das weniger die Beleidigung
Gottes fürchtet als den schlechten Ruf wegen der Sünde; von diesem ist im Psalm
gesagt: Bei seinen Werken ist der Sünder ergriffen (Ps 9.17). Und wiederum: Fülle ihr
Angesicht mit Schmach, und sie werden nach deinem Namen fragen, Herr (Ps 82.17).
Das vierte [Gewissen] ist schlecht und ruhig und daher das in höchstem Maße ge-
fährliche; dieses fürchtet weder, Gott zu beleidigen, noch scheut es sich, den Men-
schen zum Bösen zu verführen (vgl. Lc 18.2); wenn es zum Abgrund der Sünde ge-
langt, nimmt es dies gleichgültig hin (vgl. Prv 18.3), und bleibt daher in der Sünde
ruhig. Es gibt nichts, womit man so sehr die Strafe des Richters heraufbeschwört, als
in Sicherheit zu sündigen und nicht von den Sünden abzulassen. Dies ist das Gewis-
sen derjenigen, die, wenn sie irren und Böses tun, so dass sie durch die Schrift oder
die Vernunft widerlegt werden können, die Gottesfurcht hintanstellend sagen, dass
sie sich kein Gewissen machen. Sie tun dies, weil sie glauben, dass Gott in seinem
Urteil ihrer erdachten Meinung folgt und sein Urteil zurückstellt.“79
Auch wenn die Parallelen zum Traktat deutlich sind, so weist Ludolfs Behand-
lung des Themas doch auch zahlreiche Eigenheiten auf. Dies betrifft vor allem
seine Ausführungen zu den beiden Arten des schlechten Gewissens. So wird die
Unruhe der conscientia mala et turhata mit der Sorge des Menschen um seinen Ruf
erklärt. Damit stehen Ludolfs Ausführungen hier jener bereits vorgestellten Sen-
tenz aus Troyes, BM, MS 1174 nahe.80 Das schlechte und ruhige Gewissen hinge-
gen resultiere wesentlich aus der Vermessenheit derjenigen, die meinen, Gottes
Gebote nicht beachten zu müssen. Auch für Ludolf sind somit Bosheit und Sünde
Ausdruck eines falschen Wertmaßstabs. Sofern dieser nämlich ausschließlich am
Menschen orientiert werde, nicht aber zugleich auch an Gott, sei das Gewissen
zwar einerseits ruhig, andererseits aber auch objektiv schlecht. Diese objektive
Schlechtigkeit des Gewissens aber ließe sich, so Ludolf, durch Vernunft- ebenso
wie durch Autoritätsgründe nachweisen. Mithin ist es nötig, so lassen sich seine
Formulierungen ergänzen, das eigene Urteil nicht nur an der Autorität des göttli-
chen Wortes zu messen, sondern ebenso auch an der eigenen Vernunft.
Wie schon für die Flores Bernardi festgestellt werden konnte, wurden auch
aus der Vita Christi bald schon einzelne Abschnitte oder Kapitel entnommen
und fanden separate Verbreitung; die Komposition wurde also gleichsam wie-
der in ihre einzelnen Bestandteile aufgelöst. Unter diesen in verschiedenen
79 Ludolf von Sachsen, Vita lesu Christi, 1.68, S. 304 a-b. Vgl. den lateinischen Text in der nach-
folgenden synoptischen Übersicht.
80 Vgl. oben im Kapitel 3.3 a).
 
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