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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0259
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258

6. Rezeptionen und Wirkungen

rierten Gesetz des Geistes widerstrebte. Solche bemühten sich oft aus ehrlicher
Verehrung, Gott auch nicht im Kleinen zu beleidigen; doch selbst dort, wo keine
Sünde vorhanden wäre, machten sie sich dennoch ein unruhiges Gewissen. Bis-
weilen würden sie Anfechtung durch Dämonen erfahren, so dass sie verwirrt in
die Sünde stürzten. Manchmal aber würden sie hierzu auch durch die Lehren
törichter Menschen bewegt.118
Das siebte Gewissen schließlich ist gut und ruhig. Zu seiner Charakterisierung
griff Nider - und damit unterscheidet sich diese Darstellung von den vorange-
henden der anderen Gewissensarten - ausschließlich auf zwei Texte zurück. Die-
ser Umstand ist für sich genommen wenig bemerkenswert. Auffällig ist vielmehr,
dass es sich bei beiden Zitaten eigentlich um Auszüge aus dem gleichen Text
handelt - den Traktat Vom inneren Haus. Nider wies sie aber dessen ungeachtet
verschiedenen Autoren zu und identifizierte zudem den (eigentlich) einen Text
doppelt: einmal als erstes Buch von De anima des Hugo von St. Viktor, einmal
als ein Werk Bernhards von Clairvaux.119
Beide Autorenzuweisungen liegen im Rahmen des Erwartbaren, werfen aber
zugleich Fragen auf und legen den Schluss nahe, dass der Dominikaner nicht aus
erster Hand zitierte. So fällt auf, dass Nider hier vom ersten Buch des großen
Komplexes De anima spricht. Tatsächlich wird aber nicht De interiori domo -
das ja hier bei Nider als Textgrundlage dient - als dessen erstes Buch angesehen,
sondern die ps.-bernhardischen Meditationen', De interiori domo, aus dem der
Dominikaner zitiert, gilt hingegen als drittes Buch von De anima.120 Diese Ver-
wechslung legt nahe anzunehmen, dass Nider keinen direkten Zugang zu De
anima hatte; hierfür spricht auch, dass er die zweite Passage, die textlich ebenfalls
dem Traktat Vom inneren Haus entstammte - auch wenn dessen Überlieferung

118 „Sexta conscientia est bona, sed non tranquilla, imo infirma, eorum qui conversi ad Dominum
recogitant in amaritudine anime sue annos suos, qui graviter ad huc sentiunt aliam legem in
membris suis repugnantem legi mentis a Deo influxe, tales sepe ob sinceram reverentiam ne
Deum offendant in parvis ubi nullum extat peccatum, sibi turbatam faciunt conscientiam, moti
nonnumquam ad hoc temptatione demonis, ut in perplexitas ruant vicium. Aliquando etiam ad
hoc moventur doctrinis insipientium hominum.“ J. Nider, Consolatorium timorate conscientie,
lib. I, cap. 3.
119 „Septima conscientia tranquilla et bona est [...] Hugo libro primo suo de anima sic describit:
Tranquilla conscientia est qui Omnibus est dulcis, nulli gravis, Utens amico ad gratiam, et inimico
ad patientiam, cunctis ad benivolentiam, quibus potest ad beneficentiam, cui Dominus nec sua
peccata imputat, quia non fecit nec aliena quia non approbavit, nec negligentiam, quia non tacuit,
nec superbiam, quia in vanitate non permansit. Et iterum secundum Bernardum: Conscientia
bona titulus est religionis [...] et in die iudicii aperiendus.“ Ebd. Vgl. De interiori domo, cap. XI
(18), Sp. 517 A-B.
120 Vgl. hierzu B. Haureau, Les oeuvres de Hugues de Saint-Victor, S. 174-84 sowie den knappen
inhaltlichen Überblick bei E. Bertola, Di alcuni trattatipsicologici.
 
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