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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0335
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334

6. Rezeptionen und Wirkungen

ten.461 Von allen Lehren der Reflexistae^2 würde er, Palanco, sich vor keiner mehr
entsetzen als vor dieser, folge doch aus ihr, dass die schlimmsten Sünder von aller
Schuld befreit wären, ja diese nicht eingestehen müssten, weil sie von deren Bos-
heit ja gegenwärtig keine Kenntnis gehabt hätten, sofern sie nicht in der Zwischen-
zeit durch Gottes unergründliche Gnade erleuchtet worden wären - ihnen das
Bewusstsein ihrer Schuld also gleichsam von außen zukommen würde.463
Damit griff Palanco jene Argumentation auf, die schon Wilhelm von
St. Thierry gegen Abelard bemüht hatte, als er dessen Ausführungen über die
Bedeutung der Intentionen für die moralische Bewertung von Handlungen
ebenso verkürzt wie verzerrt wiedergab und meinte, dieser hätte gesagt, dass Un-
wissenheit vor Sünde schütze.464 Und so wie Wilhelm sich deswegen an seinen
Freund Bernhard von Clairvaux wandte, so tat dies ein halbes Jahrtausend
später auch Palanco, der genau im gleichen Zusammenhang ebenfalls zurück zu
,Bernhard‘ kam, bei dem das Gewissen ja, wie man gesehen habe, in vier Arten
eingeteilt sei. In diesem Sinne schlecht und unruhig sei das Gewissen dann, wenn
man nicht zum Vergnügen sündige, sondern wenn man von den eigenen Gedan-
ken umso stärker zurückgehalten und von Zweifeln geängstigt werde, je mehr
man sich gerade dem Vergnügen hinzugeben suche.465
Das schlechte und ruhige Gewissen finde man aber bei Jenem, dem es gleich-
gültig sei, dass er den Abgrund der Bosheit erreichen werde. Palanco zitiert hier
fast wörtlich und in aller Ausführlichkeit aus dem ihm vorliegenden Text die
entsprechende Beschreibung jener im höchsten Maße Verdorbenen, jener, die
461 „Forsan dices quarto, excusari quidem, sicut excusantur peccatores consummati et perfecti,
cum Deum blasphemant, et se in luxurias suas pra^cipitant, si desit mentis illustratio, et con-
scientia: remorsus, si nullam habeant malitia: cognitionem.“ Fr. Palanco, Tractatus de con-
scientia, qu. VIII, §2.16, S. 102 a.
462 Zu den Reflexistae, einer speziellen Gruppe der Probabilisten, vgl. I. von Döllinger / Fr. H.
Reusch, Geschichte der Moralstreitigkeiten, Bd. 1, S. 50f. Zum Probabilismus und den mit
ihm in Zusammenhang stehenden Konflikten vgl. J. Delumeau, Uaveu et le pardon, S. 123—
49. Palanco zählte wohl aber selbst innerhalb der eigenen Fraktion zu den ,Konservativen‘,
vgl. S. K. Knebel, Suarezismus, S. 100.
463 „Sane inter omnes horum Reflexistarum doctrinas nullam magis horreo, quam präsentem.
Nam ex illa sequitur peccatores immanissimos omnino excusari a culpa, nec, dum postea per
Dei infinitam misericordiam vocantur ad lucem, teneri ad confitenda peccata, de quorum mali-
tia advertentiam actualem non habuerunt.“ Fr. Palanco, Tractatus de conscientia, qu. VIII,
§2.16, S. 102 a.
464 Vgl. oben S. 33, Anm. 73.
465 „Sed placet referre doctrinam Divi Bernardi libro de Conscientia ad quendam Religiosum Cis-
terciensem. Ibi enim, ut supra vidimus, dividit conscientiam in bonam et tranquillam, bonam et
turbatam, malam et turbatam, malam et tranquillam. Sane mala et turbata est, quando quis non
ita delectabiliter peccat, quominus pungatur stimulis ex advertentia malitia: sua:, et peccati, sed
quo plus delectari desiderat, tanto amplius cogitationibus retrahentibus, et scrupulis angitur.“
Fr. Palanco, Tractatus de conscientia, qu. VIII, § 2.16, S. 102 a.
 
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