Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0343
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
342

6. Rezeptionen und Wirkungen

alten „Gott[es] der Rache und der Strafe, der sich einem Gott der Liebe und der
Allversöhnung gegenübergestellt“ sah.492 Auch für Leon de Saint-Laurent
(f 1702), um dessen Rekurs auf das Motiv der vier Gewissensarten es im Folgen-
den gehen soll, waren die jenseitigen Strafen noch so präsent, dass er ihnen gleich
einen ganzen Predigtzyklus widmete: die Sermones de Carcere purgatorii. Ihr
Bezug war, wie die Zusammenfassungen der einzelnen Predigten ausweisen, die
in der Apostelgeschichte beschriebene Gefangenschaft des Petrus im Kerker des
Herodes (Act 12). Ihre Analogisierung mit dem Purgatorium deutet darauf hin,
dass man bereits diese Haft ganz offensichtlich als einen Akt der Reinigung und
Bewährung deutete, der - durch den Vollzug an Petrus - als konstitutiv für die
gesamte Kirche verstanden wurde.
Die Sammlung von Predigten Über die Gefangenschaft im Fegefeuer stellt ih-
rerseits den dritten Teil eines Zyklus von Adventspredigten dar.493 Bei ihrem Ver-
fasser handelte es sich um den in Brüssel geborenen Leon Maes, der nach seinem
Eintritt in den Karmelitenorden im Jahr 1648 den Namen Leon de Saint-Laurent
angenommen hatte. Nur wenig ist darüber hinaus über ihn bekannt: Er wirkte
nach 1663 als Prior in Löwen und starb im Jahr 1702 in Antwerpen.494 Ausweislich
der bekannten Druckausgaben seiner Werke, von denen die meisten erst nach sei-
nem Tode erschienen, war er aber ein durchaus erfolgreicher Prediger.495
Das hier im Fokus stehende Motiv der vier Gewissensarten findet sich in der
zweiten Predigt der Sammlung, die unter dem Vers „Petrus servabatur in carcere“
(Act 12.5) steht. Gott habe, so heißt es in der Einleitung, zwei Kerker: einen „carcer
criminalis“ und einen „carcer civilis“. Der eine sei für die Verdammten bestimmt,
der andere für jene, die Buße zu leisten hätten.496 Mit diesen Begriffen greift Leon
zeitgenössisches juristisches Vokabular auf, insofern ein carcer criminalis hier als
Verwahranstalt im Falle von Kapitalverbrechen begegnet, der carcer civilis hingegen
für Schuldner bestimmt ist.497 Unter stetem Rekurs auf Kirchenväter wie auch auf
492 H. D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 152.
493 Der erste Teil handelt von De peccatis alienis, der zweite von De captivitate Petri und der dritte
eben von De Carcere purgatorii-, alle drei Teile erschienen 1699 in erster Auflage.
494 J. M. Montias, Vermeer and his Milieu, S. 181 sowie R. M. Valabek, Leon de Saint-Laurent.
495 Eine Übersicht der Druckausgaben findet sich bei: I. Rosier, Biographisch et Bibliographisch
Overzicht, S. 142f.
496 „Deus duos habet carceres, criminalem, in quo damnati captivi detinentur, vincti catenis compo-
sitis ex annulis aeternitatis: et civilem, qui est Purgatorium: in hoc servantur animac ob poenitenti-
as neglectas, peccata mortalia remissa et venialia Deo debitrices [...].“ Leon de Saint-Laurent,
Sermones de Carcere purgatorii, Sermo II, S. xiv.
497 Vgl. zum zeitgenössischen juristischen Gebrauch: Zedler, Bd. 10, Sp. 581. Bei Leon liest man:
„Sicut in omni Republica bene ordinata duo dantur carceres, criminalis et civilis; criminalis, in
quo qui ad mortem, civilis, in quo qui ob debita captivi tenentur; ita Deus duos habet carceres;
criminalem, qui infernus est, et civilem, qui est Purgatorium: in illo servantur, qui ob delicta
capitalia, aeternum morituri, vincti sunt catenis, compositis ex annulis aeternitatis: verbo uno
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften