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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0355
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6. Rezeptionen und Wirkungen

„Siehe! es entstünde eine grosse Bewegung auf dem Meer; also/ daß das Schifflein
mit Wellen bedecket wurde: er aber schlaffete.“550
Dieses Bild nun wurde von Brean in einer sehr spezifischen Weise gedeu-
tet: Das Meer nämlich „ist eine Abbildung des menschlichen Gewissens: das
stille eines Unschuldigen/ das bewegte/ und ungestümme eines Schuldi-
gen.“551 Mit dieser Analogisierung eröffnete er seine Diskussion zum mensch-
lichen Gewissen, die bereits für sich genommen einen Bezug zu De quattuor
modis conscientiarum aufnahm, insofern das Gewissen dort unter Rekurs auf
Ps 103.25 ja bereits als Meer beschrieben ist: „mare magnum et spatiosum, ubi
reptilia quorum non est numerus“. Während im Traktat jedoch dessen Tiefe
im Fokus steht, ist es in Breans Predigt gerade die Oberfläche des Meeres, die
als Referenz dient.
Ausdrücklichen Bezug auf den von ihm entsprechend der Drucktradition so
genannten Tractatus de conscientia nahm der Jesuit im zweiten Abschnitt seiner
Predigt. In diesem Werk, so äußerte Brean, „finde ich viererley Gattungen des-
selbigen von dem heiligen Bernardo beschriben“. Und er fuhr präzisierend fort:
„Ein Gewissen ist unschuldig/ und ruhig: ein anderes auch unschuldig/ und dan-
noch bewegt/ verwirrt/ ängstig/ und unruhig darbey; soviel von dem guten: so
seynd aber auch üble/ schuldige/ und sträffliche Gewissen von unterschiedlicher
Beschaffenheit: Man findet einige/ welche unter ihrem Last/ und bey ihrer Gefahr/
wie billich/ verwirrt/ und unruhig; andere aber/ welche in eben diesem Stand gantz
still/ und ruhig seynd.“552
Christus, soviel stand für Brean fest, vermochte auch im Sturm zu schlafen,
denn: „solches ist kein Wunder: sein Gewissen kunte demselbigen/ innerlich
auch die allergeringste Schuld nicht vorwerffen“553. Bei gewöhnlichen Menschen
hingegen würde man eine solche christusgleiche Seelenruhe eher mit Entsetzen
aufnehmen, weil keiner von ihnen ohne Schuld sei.554 Dessenungeachtet aber sei
ein ruhiges Gewissen, das zugleich gut wäre, stets Ausdruck höchsten mensch-

550 Diese Perikope bestimmte bereits um 1200 die Predigt zu diesem Sonntag: vgl. R. D. Schiewer,
Die deutsche Predigt, S. 176. Das gleiche Motiv am gleichen Tag begegnet später auch wieder bei
Johann Adam Nieberlein, vgl. im nachfolgenden Kapitel.
551 Fr. X. Brean, Christliche Warh eit, Bd. 2, Predigt 10.1, S. 121.
552 Ebd., Predigt 10.II, S. 122.
553 Ebd., S. 123.
554 „daß aber Menschen, deren Gewissen in einem verwirrten/ und gefährlichen Stand sich befin-
det/ in aller Ruhe/ und Sicherheit fort leben; dieses ist mit Verwunder- und Entsetzung anzuse-
hen: und dannoch ist dergleichen nichts seltsames in der Welt; weilen allda schuldige/schwer
beladene/ und anbey doch gantz ruhige Gewissen öffters zu finden seynd.“ Ebd.
 
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