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6. Rezeptionen und Wirkungen
des causes principales de defaut de perseverance dans la plupart. La desertion des
Paroisses“) überschrieben ist. Damit meinte er, einen jener Missstände identifi-
ziert zu haben, durch die das ständische System im Allgemeinen und insbeson-
dere die Position des Klerus nachhaltig in Frage gestellt würden. Um solchen und
ähnlichen ,Übeln‘ abzuhelfen, war es bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts
tatsächlich zu einer Intensivierung der Kirchenzucht gekommen; Kittsteiner
sprach in Bezug auf die Arbeit am Gewissen der Gläubigen von einer „inneren
Mission“.618 Thiebault verwies darauf, wie den benannten Misständen abzuhel-
fen sei: durch bessere Predigt.
Als sein Publikum sah Thiebault in erster Linie den Klerus selbst an, der das
in bestmöglicher Weise vermitteln sollte, was er, aus Erfahrung gespeist und zur
Anregung gedacht, niederschrieb. Worum es ihm mit seinem Werk ging, war die
Reinheit der Lehre, war ihre regelmäßige Verkündigung in einer Zeit, die ihm als
kontinuierlicher Auflösungsprozess der alten Ordnung erscheinen musste.619
Innerhalb des eben erwähnten sechsten und letzten Teils seines Zyklus, der
Von der Sünde und den Leidenschaften, welche zur Sünde Anlaß geben handelt,
sind nun auch zwei Predigten - von ihm „Instruction“ / „Unterricht“ genannt -
über den Gegenstand des Gewissens enthalten: eine über das richtige, die andere
über das irrige Gewissen. Das Gewissen selbst ist dabei (in der deutschen Aus-
gabe) als „Hauptregel der menschlichen Werke, sowohl der Tugendsamen als
Sündhaften“ bestimmt.620 Der Mensch sei insofern autonom, als sein Gewissen
ihm jegliche Regel setze, doch könne genau das auch ins Verderben führen, näm-
lich dann, wenn das Gewissen ein irriges sei, denn: „Das irrige Gewissen verleitet
uns zur Sünde.“621
618 H. D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 293ff. Zur Entwicklung
der Kirchenzucht (freilich nur innerhalb der lutherischen und reformierten Bekenntnisse) vgl.
H.-J. Goertz, „ Kirchenzucht 3
619 So schreibt er im besagten Nachtrag über die Pflicht zum Gottesdienstbesuch: ..] in unseren
Pfareyen sind wenige Christen schier wäre Christen zufinden, als jene, welche fleißig den Got-
tesdiensten, die wir verrichten, beywohnen, alle anderen machen sich entweder eine Andacht
und eine Religion nach ihrer Mode, oder haben gar keine Andacht, weder Religion mehr [..
M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 604. Zu den sich im 19. Jh. noch verstärken-
den Prozessen der „Entkirchlichung“ vgl. R. Schlögl, Alter Glaube, S. 273-80.
620 M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 463. „Regle principale des actions humaines,
tant vertueuses que vicieuses.“ Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 421.
621 Ders., Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 489. „La fausse conscience nous porte au peche
Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 445. Dabei berücksichtigt er auch die klassische Argumen-
tation des Thomas von Aquin, derzufolge das irrende Gewissen den Menschen zwar tatsäch-
lich binde, für den, der irrt, aber dennoch aus schuldhaftem Tun eine Sünde erwachse, insofern
der Irrtum selbst eine Sünde sei. M. Fr. Thiebault Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 492; Ders.,
Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 447f.
6. Rezeptionen und Wirkungen
des causes principales de defaut de perseverance dans la plupart. La desertion des
Paroisses“) überschrieben ist. Damit meinte er, einen jener Missstände identifi-
ziert zu haben, durch die das ständische System im Allgemeinen und insbeson-
dere die Position des Klerus nachhaltig in Frage gestellt würden. Um solchen und
ähnlichen ,Übeln‘ abzuhelfen, war es bereits seit Beginn des 18. Jahrhunderts
tatsächlich zu einer Intensivierung der Kirchenzucht gekommen; Kittsteiner
sprach in Bezug auf die Arbeit am Gewissen der Gläubigen von einer „inneren
Mission“.618 Thiebault verwies darauf, wie den benannten Misständen abzuhel-
fen sei: durch bessere Predigt.
Als sein Publikum sah Thiebault in erster Linie den Klerus selbst an, der das
in bestmöglicher Weise vermitteln sollte, was er, aus Erfahrung gespeist und zur
Anregung gedacht, niederschrieb. Worum es ihm mit seinem Werk ging, war die
Reinheit der Lehre, war ihre regelmäßige Verkündigung in einer Zeit, die ihm als
kontinuierlicher Auflösungsprozess der alten Ordnung erscheinen musste.619
Innerhalb des eben erwähnten sechsten und letzten Teils seines Zyklus, der
Von der Sünde und den Leidenschaften, welche zur Sünde Anlaß geben handelt,
sind nun auch zwei Predigten - von ihm „Instruction“ / „Unterricht“ genannt -
über den Gegenstand des Gewissens enthalten: eine über das richtige, die andere
über das irrige Gewissen. Das Gewissen selbst ist dabei (in der deutschen Aus-
gabe) als „Hauptregel der menschlichen Werke, sowohl der Tugendsamen als
Sündhaften“ bestimmt.620 Der Mensch sei insofern autonom, als sein Gewissen
ihm jegliche Regel setze, doch könne genau das auch ins Verderben führen, näm-
lich dann, wenn das Gewissen ein irriges sei, denn: „Das irrige Gewissen verleitet
uns zur Sünde.“621
618 H. D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, S. 293ff. Zur Entwicklung
der Kirchenzucht (freilich nur innerhalb der lutherischen und reformierten Bekenntnisse) vgl.
H.-J. Goertz, „ Kirchenzucht 3
619 So schreibt er im besagten Nachtrag über die Pflicht zum Gottesdienstbesuch: ..] in unseren
Pfareyen sind wenige Christen schier wäre Christen zufinden, als jene, welche fleißig den Got-
tesdiensten, die wir verrichten, beywohnen, alle anderen machen sich entweder eine Andacht
und eine Religion nach ihrer Mode, oder haben gar keine Andacht, weder Religion mehr [..
M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 604. Zu den sich im 19. Jh. noch verstärken-
den Prozessen der „Entkirchlichung“ vgl. R. Schlögl, Alter Glaube, S. 273-80.
620 M. Fr. Thiebault, Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 463. „Regle principale des actions humaines,
tant vertueuses que vicieuses.“ Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 421.
621 Ders., Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 489. „La fausse conscience nous porte au peche
Ders., Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 445. Dabei berücksichtigt er auch die klassische Argumen-
tation des Thomas von Aquin, derzufolge das irrende Gewissen den Menschen zwar tatsäch-
lich binde, für den, der irrt, aber dennoch aus schuldhaftem Tun eine Sünde erwachse, insofern
der Irrtum selbst eine Sünde sei. M. Fr. Thiebault Christenlehrpredigten, Bd. 6, S. 492; Ders.,
Doctrine chretienne, Bd. 6, S. 447f.