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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0376
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

375

zugrundeliegende Geist.645 Dass eine solche Sicht bereits deutlich dem histori-
schen Sinn der Zeit widersprach, schien ihm als Vertreter des Ancien Regime
wohl nicht bewusst geworden zu sein.
Johann Nepomuk Krauss: Sonntags-Predigten
Überblickt man die bisher zusammengetragenen Bezüge auf die vier Gewissens-
arten, fällt durchaus ein Übergewicht der Beschäftigung mit dessen schlechten
Ausprägungen ins Auge. Fast scheint es, als habe Luthers Diktum, wonach je-
des Gewissen ein schlechtes Gewissen sei („omnis conscientia mala“), Wirkung
gezeigt.646 Eine solche Schwerpunktsetzung begegnet auch in der Predigt des
Johann Nepomuk Krauss zum zweiten Adventssonntag des Jahres 1824 oder
1825. Der Grazer Professor für philosophische Religionslehre und Prediger an
der dortigen Bischofskirche St. Ägidien veröffentlichte sie im Jahr 1826 in einem
Band mit Sonntagspredigten zum Jahreskreis. Krauss, Inhaber einer Vielzahl
von kirchlichen Ämtern und im akademischen Jahr 1838/39 schließlich Rektor
der Grazer Universität, hatte bereits zuvor zahlreiche seiner Predigten publiziert;
weitere sollten folgen.647
Die hier interessierende Predigt stand unter der Perikope von Mt 11.10: „Sieh,
ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten wird.“ Der
Engel, so übertrug Krauss dieses Bild, der dem Menschen in seinem Leben vor-
ausgehe, sei himmlischer Abkunft, sei das Gewissen. Und doch würden die Men-
schen diesen himmlisch vorgezeichneten Weg verlassen und einer „Truggestalt“
folgen, „die aus der Sünde geboren ist, nämlich dem falschen Gewissen“. Ein
solches falsches Gewissen aber führe „immer weiter vom Pfade des Heils zu
einem falschen Dienst Gottes, zu einem falschen Frieden, und endlich nur zu
einem Wahren, zu Elend und Verderben“648. Damit positioniert Krauss seinen
Gegenstand recht deutlich, denn: Egal ob es auf dem rechten oder dem falschen
Wege führe - eine solche Leitinstanz besäße klar den Charakter einer conscientia
antecedens', das Gewissen würde nicht urteilen, sondern weisen, wäre nicht refle-
xiv, sondern würde HandlungsOptionen wählen.

645 „11 Importe peu, en effet, de connoitre ces sources; l’essentiel est que celui qui lira ou meditera
ces pensees Ebd., S. V.
646 M. Luther, Dieta super psalterium (1513-16), Psalmus XC (XCI), in: WA 4, S. 67.
647 Vgl. zu ihm: M. Sohn-Kronthaler, Die Autorität einer Jerusalem-Pilgerin, S. 174, Anm. 40
sowie J. Kehrein, Geschichte der katholischen Kanzelberedsamkeit, Bd. 1, S. 417. Eine Biblio-
graphie seiner Schriften ist nicht verfügbar. Ein erster Band mit Adventspredigten erschien be-
reits 1823; es handelt sich bei diesen aber um gegenüber denen des Jahres 1826 verschiedene.
648 J. N. Krauss, Sonntags-Predigten (1826), n° 3, S. 14.
 
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